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„Verkehrspolitik des Senats heißt Nichtstun“

■ Handelskammer legt ausführliche Studie über Verkehrspolitik vor / Kölner Gutachter gibt Bremen schlechte Noten

Das ÖPNV-Konzept des Senats ist „inkompetent, einseitig und lückenhaft.“ Die flächendeckende Einführung von Tempo 30 erfolgt „planlos“. Die Staus auf Bremens Straßen sind „im wesentlichen herbeigeplant“. Wichtige Wirtschaftsziele sind für LKWs nicht ohne Stau erreichbar, weil ein maßvoller Ausbau des Straßennetzes durch „undifferenzierte Polemik“ gestoppt worden ist. Mit gekonntem Lobbyismus reinsten Wassers wandte sich gestern die Handelskammer an die Öffentlichkeit. Grundlage der Generalschelte gegen die Verkehrspolitik des Senats ist ein Gutachten, daß der Kölner Professor für Wirtschaftliche Staatswissenschaften, Rainer Willeke, im Auftrag des Handelskammer erstellt hat.

Aus seiner Grundhaltung machte Willeke, der auch Mitglied im Wissenschaftlichen Beirat beim Bonner Verkehrsministerium ist, keinen Hehl. „Der ökonomische Hintergrund ist der wesentliche.“ Doch dies sei kein Widerspruch zu einer ökologischen Wirtschaftspolitik, denn: „Flüssiger Verkehr ist umweltverträglicher als ein Stau.“

Und daß der Verkehr sich in Bremen häufiger staut als anderswo ist für Willeke Beleg für planerische Versäumnisse in der Vergangenheit und eine falsche Politik der Gegenwart. Andere Städte seien mit den Problemen, die zunehmende Wirtschaftsverkehre und das Mobilitätsbedürfnis der Bevölkerung verursachen, besser fertig geworden als Bremen. Willeke: „Es gibt hier erstaunliche Defizite.“

Um seine Thesen zu belegen, hat der Kölner Verkehrswissenschaftler zahlreiche vergleichende Daten aus anderen deutschen Großstädten zusammengetragen. So hat Bremen mit 459,2 Autos auf 1.000 EinwohnerInnen zwar einen bundesdeutschen Mittelplatz, beim Anteil von Straßen, Wegen und Plätzen aber nimmt Bremen den letzten Platz ein. Während für Verkehrszwecke in Berlin, Frankfurt, und Stuttgart fast zwölf Prozent des Stadtgebietes zubetoniert sind, ist Bremen mit acht Prozent Verkehrsfläche vergebener Fläche Schlußlicht und vergleichsweise Idylle.

Auch den ÖPNV hat Willeke statistisch durchleuchtet. Während sich das Leistungsangebot bei Bahn und Bus im Mittelfeld befindet und die Ausnutzung sogar überdurchschnittlich ist, sei die BSAG bei den Einnahmen absolutes Schlußlicht.

Die vom Senat mit dem ÖPNV- Konzept beschlossene Vorfahrt von Bahn und Bus ist für Willeke von Übel. Statt sich auf Leistungsverbesserungen im ÖPNV zu konzentrieren, setze der Senat auf eine „rigorose Behinderung des motorisierten Individualverkehrs.“ Alternative des Handelskammer-Gutachters: Die Stadt solle am Stadtrand gelegene Park&Ride-Plätze durch leistungsfähige Schnellbusse anbinden, um so die Zahl der täglich 85.000 Pendlerfahrten zu verringern und die Parkplatzprobleme in der Innenstadt zu entschärfen. Daß AutofahrerInnen durch Behinderung der freien Fahrt in die Busse zu zwingen sind und so der Verkehr abnimmt, glaubt Willeke nicht, ganz im Gegenteil. Sein Resumée deshalb: „Die Zukunft mit wieder steigender Bevölkerung, steigendem Einkommen und steigenden PKW-Beständen findet in den Bremer Planungen anscheinend nicht statt.“

Eine Absage an ökologische Verkehrspolitik sieht Willeke in seinem Gutachten nicht. „Ich nehme die Ökologie ernst, aber die Wirtschaft darf nicht unter den Tisch fallen.“ Der Senat müsse deshalb endlich die Konflikte zu Kompromissen führen. „Bislang ist Nichtstun ein wesentlicher Bestandteil bremischer Verkehrspolitik.“ hbk

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