: Auf den Pawlowschen Hund gekommen
■ betr.: "Gerechte Strafe", "Grüne Depression", Kommentare in der taz vom 4.12.90
betr.: „Gerechte Strafe“, „Grüne Depression“, Kommentare in der taz vom 4.12.90
Wenn man oder frau die Kommentare der taz zum Abschneiden der Grünen bei der Bundestagswahl liest, wird man/frau gewiß: in diesem ruhmreichen linken Tageszeitungsprojekt ist die kritische Gesellschaftstheorie und das kritische Reflektieren der kapitalistischen Industriegesellschaft und deren politischer Regularien auf den Hund gekommen, und zwar auf den Pawlowschen. Wo das Reflektieren nicht mehr hingelangt, reicht der Reflex: hat man/frau als links-alternative grüne Partei nicht die Fünfprozenthürde gemeistert, muß die Anpassungsleistung erhöht werden. Na bravo. Genau das wird gebraucht.
Das Profil der Grünen hat sich ohne Frage in den letzten Jahren spürbar abgeschliffen. Von dem früheren Willen, Parlamente transparent zu machen, ist nicht mehr viel zu sehen. Wie auch, wenn viele Grüne der Versuchung des Medienrummels erlegen sind und Profil mit Profilierung verwechseln. Das unverwechselbare grüne Profil, das von der Rotation über das zweite, das parlamentarische Standbein der sozialen Bewegungen bis hin zur öffentlichen Darstellung in eigensinnigen und witzigen Aktionen reichte, ist gerundet und rollt als Billardkugel durch die Landschaft. Diese wechselwirkt nicht mehr mit den sozialen Bewegungen, sondern mit der Macht. Gerade die von der taz so hoch gelobte Antje Vollmer hat geglaubt, einige Äußerungen in diese Richtung von sich geben zu müssen; ihre Anmerkungen zu Deutschlands „Weltmacht“rolle waren ebenso schwer verdaulich wie die Bemerkungen einiger anderer aus ihrem Umkreis zu diesem Thema. Insbesondere fallen einem die schlimmen Sätze eines gewissen Herrn Knapp ein.
Das zeigt einen Perspektivenwechsel an, zeigt, daß von den grünen Utopien, Idealen und gesellschaftskritischen Fragestellungen nach und nach Abschied genommen wird. Die Integration der Grünen in den staatlich-administrativen Bereich ist vielfach geglückt und Herr Fischer möchte das Werk vollenden.
Wenn er und Antje Vollmer jetzt einen Neuanfang fordern und damit meinen, daß jetzt das BerufspolitikerInnentum auf der Tagesordnung steht, die Rotation abzuschaffen sei und daß die Grünen mittels des interessanten Aspekts der Hierarchisierung gestrafft werden müßten (Tagesschau vom 4.12.90), empfehlen sie den Grünen eine Parteilinie, die diese Partei zu einer liberalen Umweltpartei mit sozialem Drall macht. Sie erreichen damit noch nicht einmal sozialdemokratisches Niveau, die ihre Linken immerhin in besondere, wenn auch völlig unbedeutende, Freigehege stecken, um sich dort austoben zu können. Noch nicht einmal dazu bringen die Neuemporkömmlinge den Mut auf.
Keine Frage ist, daß es in einem solchen Fall besser wäre, von den Grünen Abschied zu nehmen. Nun bestehen die Grünen glücklicherweise nicht nur aus MedienliebhaberInnen wie Herrn Fischer, auch wenn diesem das entgangen sein mag. Ja, noch gibt es die „Rest“- Grünen.
Für die ist es bedauerlich, daß die Infrastruktur, der MitarbeiterInnenstab der Bundestagsfraktion und diese selbst aus dem Bundesparlament gewählt worden sind. Allerdings haben die Grünen nur die Bundestagswahl vom 2.12.90 durch WählerInnenentscheid verloren. Ob sie als politisch relevante Kraft verlorengehen, liegt in den Grünen selbst. Es wird sich zeigen, ob die nun anstehende Verschiebung der öffentlichen Präsenz von der Bundes- auf die Landes- und noch mehr die Kommunalebene erfolgen kann; die politische Gewichtung wird eine differenziertere sein müssen als bislang, insbesondere gilt das für das Auslaufmodell „rot-grün“, dessen Haupterfolg ist, daß die Grünen entweder öffentlich nicht präsent sind oder das Modell zerbricht. In Niedersachsen jedenfalls bemerkt man/ frau die Grünen landesweit nicht mehr. Am besten „rot-grün“ wird in einem Antiquariat abgeliefert. Statt dessen kann sich der grüne Mensch auf alte Tugenden besinnen. Ein Ende ist schließlich auch ein Neuanfang. Und im Moment geht derat viel zu Ende, da gibt es Anfang über Anfang... Günter Schnelle, Braunschweig
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