: Sendezeit für einen Mafioso
■ Jürgen Engert ließ Alexander Schalck-Golodkowski auf der Fernsehcouch fabulieren
Berlin (taz) — Hunderte JournalistInnen pilgerten zur Villa von Alexander Schalck-Golodkowski am Tegernsee. Einer kam durch: Jürgen Engert vom Sender Freies Berlin. Erschöpft sank der Mann in das gelbe Sofa, klammerte sich an den Kugelschreiber und ein Glas Mineralwasser. Getreu dem journalistischen Motto „Der Termin ist das Ziel“ verstummte Engert weitgehend und ließ Schalck, dem die Weihnachtsgans im Doppelkinn das Atmen erschwerte, vierzig Minuten fabulieren. Der rote Faden des ARD-„Brennpunkts“ am Mittwoch abend war zugleich die Message, die Herr Engert seit geraumer Zeit mit virtuoser Eindimensionalität aussendet: Menschen wie Alexander Schalck-Golodkowski sind (fast) Menschen wie du und ich.
Folglich lautet die erste Frage: „Wovon leben Sie?“ Treuherzig, die schweren Augenlider fallen noch eine Spur tiefer über die Augäpfel, antwortet Schalck: „Von dem einen oder anderen Beratervertrag.“ So ist das eben, eine Krähe hackt der anderen kein Auge aus. Als Chef des Syndikats „Kommerzielle Koordinierung“ hat Golodkowski einen weltweiten, schwunghaften Waffenhandel betrieben — vorzugsweise mit den offiziellen Gegnern der DDR. Aber das interessiert Herrn Engert nicht die Bohne. Ohnehin kolportiert das schwache Stimmchen aus dem Sofa nur eine „Meinung, die in der BRD vorherrscht“ oder eine „Vermutung, die kursiert“.
Schüchtern zitiert Engert: „Waffengeschäfte sind im Gespräch.“ So was aber auch! Dankbar entgegnet Schalck: „Ich muß das mal in aller Öffentlichkeit sagen, Herr Engert“, gewiß doch, bitte sehr, „ich habe immer weisungsgemäß meine Aufgaben erfüllt, mit Leidenschaft meine Arbeit als Wirtschaftsfachmann und Finanzexperte wahrgenommen.“ Leidenschaftliche Beamte sind die gefährlichsten, sie begehen blind die größten Verbrechen.
Leidenschaft schimmert beim Interviewer Engert nur ein einziges Mal durch. Während des ganzen Gesprächs verschont er sein Gegenüber vor jeglicher Nachfrage, doch beim Thema Etikettenschwindel in Intershops bohrt der Journalist gleich dreimal nach. Unerbittlich versucht er, der „bewußten Verteuerung von billigen Whisky-Sorten in den Intershops“ auf den Grund zu gehen. Da riecht das Publikum förmlich den Ärger beim Einkauf an der Transitstrecke oder im Bahnhof Friedrichstraße. Durchaus nicht ohne Mitgefühl verteidigt sich Schalck: Der Etikettenschwindel „hat nicht durch meine Weisung, Inszenierung oder mit meiner Duldung stattgefunden. Mit meinem Apparat hat das nichts zu tun.“
Fehlanzeige auch beim Rauschgifthandel oder der Verschleuderung von Kulturgütern. Und bei der Stasi hat Schalck sich entgegen der Vermutung Engerts nicht „beworben“, er ist zum Oberst ernannt worden.
„Kannten Sie die kriminelle Energie des Apparates der Stasi?“ will Engert wissen. Schalck: „Ich kann nur für mich sprechen und den Bereich, den ich verantwortungsbewußt übersehen kann. Ich habe dort eigentlich diese kriminelle Energie, wie sie möglicherweise oder sicherlich in Abschnitten aufgetreten ist, nicht auskosten brauchen.“
Diese klassischen Entlastungssätze müssen Engert zutiefst überzeugt, ja derart gerührt haben, daß er mit belegter Stimme bruchlos anschließt: „Ist es richtig, daß Sie sich mit Selbstmordgedanken getragen haben?“ Mein Gott, Herr Engert, welch tiefe Einblicke in seelische Abgründe eröffnen Sie den Zuschauern? Schmerz über treulose Kumpels und das Abgehörtwerden sowie die „Angst vor der Ohnmacht“ brachten Schalck in Suizidgefahr. Kurzfristig. Der „Gedanke an Selbstmord wurde mit Hilfe meines Strafverteidigers und redlicher Christen schnell überwunden“. Aufatmen.
Und dann der Höhepunkt der Sendung; eine, nein, die erste historische Sensation im Jahre 1990: Bereits Ende 1988 hat Schalck — „im kleinen Kreis, die Namen will ich nicht nennen, die leben noch und haben auch noch Arbeit“ — darüber geredet, daß die DDR „nur im Rahmen einer Konföderation überleben kann“. Weitsichtig ist er auch noch, dieser Pfundskerl Schalck-Golodkowski!
Wer nach dieser Sendung immer noch Schalcks sofortige Verhaftung verlangt, wie gestern MdB Konrad Weiss, muß die ARD-Botschaft mißverstanden haben oder hundsgemein sein. Nicht wahr, Herr Engert? Vor gut einem Jahr war es noch öffentlich-rechtlich angebracht, die verantwortlichen DDR-Politiker zu demontieren. Seinerzeit erledigte Fritz Pleitgen Egon Krenz im Handumdrehen. Jetzt heißt es: Deckel drauf im Dienste des Aufbaus. Jürgen Engert ist reif für den Aufstieg zum Intendanten. Petra Bornhöft
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