: Über den Turnplatz in die Einheit
■ »Schwarzer Rotgold«, eine Farce von Freya Klier im Berliner Prater
Freya Klier macht wieder Theater. Ihr Stück »Schwarzer Rotgold« entläßt das Publikum ratlos und betroffen, mit einer bangen Frage im gemarterten Hirn: Was will uns die gelernte Regisseurin hiermit sagen? Das 'Neue Deutschland‘ bietet als Antwort an: »Deutsche Geschichte... ein endlos langer, ekelhafter Wurm«. Der Wurm wird chronologisch abgewickelt.
Die hundert Jahre zwischen Leipziger Völkerschlacht und Erstem Weltkrieg schafft Klier in einer Stunde weg, für die restlichen zwanzig Jahre braucht sie schon zwei. Das Publikum an den langen Seiten des Pratersaales hat zu gehorchen: Augen links! Augen rechts! Augen geradeaus!
Links befindet sich ein graues Denkmalpodest ohne Denkmal. Darauf wird im Laufe des Abends einmal trübsinnig über die deutsche Misere philosophiert und zweimal noch trübsinniger für Deutschland gevögelt. Rechts steht ein Folterinstrument aus der Werkstatt des Turnvaters Jahn. Daran wird zuletzt der Jude mit den Füßen nach oben hochgezogen. Das hätte man sich beinahe denken können.
Die Misere beginnt mit Schlachtenlärm. Augen links wird ein Häuflein wilder Krieger geschüttelt vom Franzosenhaß und Einheitsfieber. Gelächter erntet einer mit dem Satz: »Ab heute will ich kein Sachse mehr sein.« Aus den meist chorisch gebrüllten Versen, deren Urheber das Programmheft hartnäckig verschweigt, ragt jenes Schlüsselwort: »Nur über den Turnplatz führt der Weg in die Einheit der Deutschen.« Mit dem Kriegsruf »Verwahrlosen heißt verwelschen« stürmt die Truppe an Reck und Ringe und ertüchtigt sich prächtig. Denn die Regisseurin hat entdeckt, daß körperliche Ertüchtigung, wenn sie ideologisch wird, irgendwie immer in Mobilmachung mündet. Die These ist vielleicht nicht mehr taufrisch, führt aber hier dazu, daß die Turnmutter Klier ihre zwölfköpfige Schauspieler-Riege am Reck zu Höchstleistungen verdonnert. Und damit verschafft sie jedenfalls den Sadisten im Publikum ein paar fröhliche Minuten.
Ansonsten ist es mit der Fröhlichkeit nicht so weit her an diesem Abend. Genauer gesagt kommt sie erst dann wieder auf, wenn Kliers Geschichtslektion die Nudisten-Bewegung erreicht hat, die die Regisseurin seltsamerweise kurz vor die Nazizeit plaziert. Wenn sich mehrere junge Menschen ganz schnell nackt ausziehen, schämen und dann auf den Bauch werfen, ist das hübsch anzusehen.
Ansonsten verläuft der Abend reibungslos in guter Schulfunk-Tradition. Kleine Szenen klären auf: Bücherverbrennungen gab es schon im 19. Jahrhundert. Ein Student namens Sand hat einen Dichter namens Kotzebue erstochen. In Gesangsvereinen wurde viel gesungen. Schon die Jugendbewegung war antisemitisch gefärbt. Und immer wieder durchqueren in einträchtigem Tanzschritt drei Herren den Saal: Kirche, Heer und Kapital. Die Regisseurin stellt sich und die tapferen Schauspieler gnadenlos in den Dienst der Sache, welche da heißt: Erinnern, Aufklären, Belehren. Wer so herausragende Ereignisse wie das Hambacher oder das Wartburg-Fest oder die Göttinger Sieben im passiven Teil seines Gedächtnisses untergebracht hat, muß hier dauernd befürchten, erwischt zu werden.
Daß Freya Kliers Rückschau auf die deutsche Geschichte in der Tendenz eher negativ ausfiel, war zu erwarten. Immerhin kommt ihr dieselbe öfters mal »hoch wie ein Kotzbrocken«. Seltsam ist nur, daß ausgerechnet sie, die in dem Buch Lüg Vaterland das Erziehungswesen der ehemaligen DDR nicht ohne Seitenhieb auf das der ehemaligen BRD scharf verurteilt hat, als Theaterregisseurin bloß belehren will. Das scheint eben auch eine deutsche Eigenschaft: die größten Kritiker der Elche werden später selber welche. Dose
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