: Sozialgerichte nun auch im Osten
Berlin (adn) — Ist der Ostdeutsche der Meinung, die Höhe seines Arbeitslosen-, Kurzarbeiter- oder Krankengeldes stimme nicht, kann er seit der Vereinigung in ungeklärten Fällen die Sozialgerichte anrufen. Die DDR-Bürger hatten zwar schon in alten Zeiten eine sogenannte Beschwerdestelle für Sozialversicherungsprobleme bei der Einheitsgewerkschaft FDGB als Anlaufpunkt, doch wurde dort etwas als unbegründet verworfen, mußte der treue Staatsbürger dies als gegeben hinnehmen. Das bundesdeutsche Recht kennt dagegen seit 1954 ein Sozialgerichtsgesetz. Danach kann jeder Bewohner, der sich unter anderem im Rahmen seiner Sozial- und Arbeitslosenversicherung oder bei der Kriegsopferversorgung verschaukelt fühlt, gegen Entscheidungen der Verwaltungsorgane klagen. Etwa 180.000 solcher Verfahren laufen jährlich in Deutschland, berichtet der Präsident des Berliner Sozialgerichts, Klaus-Peter Wagner. Im Westteil der Stadt waren es im vergangenen Jahr an die 12.000 Streitfälle, die per Richterentscheidung geklärt werden mußten. Der große Vorteil des Sozialgerichts ist, daß alle Prozesse für die Kläger kostenlos sind und auch ohne Rechtsanwalt geführt werden können. Nur ein Drittel geht letztlich zu deren Gunsten aus, fügt der Präsident hinzu, den Großteil gewinnen „zum Glück“ die Verwaltungsorgane. „Ansonsten wären ja unsere Gesetze schlecht“, erklärt er das Urteilsverhältnis. Übrigens verneint Wagner konsequent die geläufige Meinung, das Sozialgericht sei „ein Gericht für arme Leute“. Auch „Besserverdienende und Topmanager“ pochten hier auf ihr Recht.
Leider beträgt die durchschnittliche Bearbeitungszeit eines Falles bis zu neun Monate, ehe endlich der Richter die Verhandlung eröffnen kann. Zur Zeit können jedoch nur die früheren Ostberliner ein endgültiges richterliches Urteil beim Sozialgericht erfahren, denn in den fünf neuen Bundesländern besteht bei den dort noch vorhandenen Sozialkammern aufgrund der fehlenden Beisitzer nur eine „Schlichtungschance in dringenden Angelegenheiten“.
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen