: Die unbenutzte Uniform
Ungehaltene Bemerkungen zum neuesten deutschen Heimatfilm „Rama dama“ ■ Von Christiane Peitz
Schon in Herbstmilch war den Naziuniformen anzusehen, daß es sich um Kostüme handelt. Sie waren neugeschneidert, unbenutzt. Wirkungsvoller als Patina sind Bügelfalten: Sie suggerieren, daß nie zuvor jemand tatsächlich solche Uniformen getragen hat. Das Krieg- Spielen im neuen deutschen Heimatfilm verschleiert die Tatsache, daß eben diese Heimat eben diesen Krieg wirklich geführt hat.
Die unbenutzte Uniform erklärt den ungewöhnlichen Erfolg von Herbstmilch: Knapp zweieinhalb Millionen Besucher haben den Film in den letzten zwei Jahren gesehen; noch heute sind es monatlich zehntausend Zuschauer. In Herbstmilch sind die Nazis verkleidete Statisten und der Krieg ist die Kulisse, vor der sich die eigentliche Handlung — die Liebesgeschichte — abspielt. Genauso, nehme ich an, will es die Erinnerung der meisten Deutschen, die damals schon lebten: der Nationalsozialismus als Hintergrund, als folkloristisches Kolorit für die Inszenierung der eigenen Lebensgeschichte.
Vilsmaier und seine beiden Hauptdarsteller Dana Vavrova und Werner Stocker betonen immer wieder, daß vor allem die ganz jungen und die ganz alten Zuschauer sich über Herbstmilch gefreut hätten: Die Jungen, weil sie endlich etwas über die Vergangenheit erfahren, die Alten, weil ihre Erfahrungen endlich beachtet und ernst genommen werden. Die Filmemacher vergessen dabei, daß niemand diesen heute Alten 1945 verboten hat, über ihre Erlebnisse zu sprechen und daß vor allem sie selber es waren, die von ihren Erfahrungen nichts wissen wollten. Sie hatten vor 1945 geschwiegen und sie taten es danach, weil sie für ihr Schweigen keine Entschuldigung hatten. Filme wie Herbstmilch, Väter und Söhne, Manöver, Abrahams Gold versöhnen mit diesem Schweigen, indem sie vergessen machen, daß es tatsächlich etwas zu verschweigen gab. Reden wir drüber, und alles ist wieder gut. Vergangenheitsbewältigung in Talkshow-Manier.
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Nun hat Joseph Vilsmaier wieder eine Liebesgeschichte verfilmt, wieder mit seinem Traumpaar aus Herbstmilch, Dana Vavrova und Werner Stocker: Rama dama. „Rama dama“ ist bayerisch und bedeutet soviel wie „Räumen tun wir“. Mit diesem Appell wurde die Bevölkerung Münchens am Kriegsende zum Wiederaufbau der Stadt aufgefordert.
Rama dama handelt von der Trümmerfrau Kati, ihren zwei kleinen Kindern, ihrem an der Ostfront verschollenen Ehemann Felix und dem heimkehrenden Soldaten Hans. Hans verliebt sich in Kati, aber Kati weist ihn ab; sie will ihrem Mann treu bleiben. Eigentlich jedoch ist sie auch in Hans verliebt. Als ein amerikanischer GI ihr an die Wäsche will und Hans sie rettet, lieben sie sich endlich auf einer grünen bayerischen Wiese. Und wie im wirklichen Dreigroschenroman kehrt pünktlich zum neuen Familienglück Felix von der Front zurück. Kati muß sich entscheiden und schaut sinnend in die Ferne. Abspann.
Mit Kati hat Joseph Vilsmaier inszeniert, was die Amerikaner „das deutsche Fräulein-Wunder“ nannten. Kati ist tüchtig, fleißig, adrett, tugendhaft. 110 Minuten lang rauchen Münchens Trümmer, 110 Minuten lang fährt die Dampflok mit den Loren den Schutt ab, aber Katis Bluse ist immer frisch gestärkt, ihr Kragen immer weiß, ihr Haar immer ordentlich frisiert. Nie ist sie wirklich erschöpft, nie gehen ihr die Kinder auf die Nerven, nie läßt sie sich gehen. In der Tat ein Wunder. Rama dama: eine Hymne auf die deutsche Trümmerfrau.
Daß es Hunger gab, Verzweiflung, Kriminalität, daß viele Frauen zur Prostitution gezwungen waren — nichts davon wird auch nur erwähnt. Auch Hans, ein Draufgänger und Schönling, ist bei Kati der Gentleman in Person, lädt sie zum Beethoven-Konzert ein und kehrt, ohne ihr zu nahe zu treten, erst im Morgengrauen mit ihr zurück. Man fragt sich, was die beiden die ganze Nacht über getrieben haben.
Mangelnder Realitätssinn wird durch einen Ausstattungsaufwand kompensiert, der zu dem Kammerstück in merkwürdigem Kontrast steht. Die Trümmerkulisse für die Geschichte von Kati und Hans ist penibel rekonstruiert. Die Schuttlandschaft ist in Prag aufgenommen, Hunderte von Lastwagen voll Schutt wurden zusätzlich dort abgeladen: ein Kilometer Trümmer. „Durch unser Hauptmotiv haben wir dann 500 Meter Gleise betoniert für unsere Schutt-Bahn (...) Die Lokomotive und die Loren haben wir mit Kränen reingehievt. Das war schon ein gewaltiger Aufwand“, erzählt der Regisseur nicht ohne Stolz. Drei Wochen Drehzeit für drei Minuten Film. Häuser werden gesprengt. Rauchende Trümmer, rumpelnde Loks, Massenszenen mit Trümmerfrauen, immer wieder. Die Wiederholung verstärkt die Suggestion: So war es wirklich.
Damit Prag wie München aussieht, wurde mitten in die rauchenden Trümmer die Liebfrauenkirche montiert. Das Dilettantische der Montage jedoch macht den ganzen „gewaltigen Aufwand“ zunichte, verkleinert das gewünschte authentische Nachkriegs-München zum Abenteuer-Spielplatz.
Pünktlich zum Ende der Nachkriegszeit entsorgt Rama dama auch diese historische Phase: Die unbenutzte Uniform wird durch die gestärkte Bluse ersetzt, die Nazi-Folklore durch die ewig rauchenden Trümmer.
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Eine Nonne klopft Steine. Der schwarze GI sagt immer nur „Sorry“ und lacht mit breitem Gebiß. Kati und Hans tanzen Boogie in den Trümmern. Die Obstbäume blühen. Drei Saxophone spielen im Ami- Club auf und zum Picknick im Grünen gibt's großes Orchester. Die Schuttbahn rumpelt in die Abenddämmerung. Nichts gegen Kitsch, solange er die Lüge nicht verleugnet. Bei Vilsmaier jedoch behaupten Kitsch und Folklore Authentizität. Vilsmaier: „Der Ami-Club, das war gewaltig. Das mußte, wie der Einmarsch der Amerikaner, auch in einem Tag gedreht werden, mit ein paar hundert Komparsen. Wir haben vier Bataillone Amerikaner gehabt, das waren alles Original-Amerikaner, im Club und beim Einmarsch, die sind aus Mannheim gekommen, aus Tölz, aus Garmisch, aus Augsburg. Wie sie motiviert waren bis abends um Elf, (...) es war der Wahnsinn.“ Ein Authentizitätswahnsinn. Wahnhaft daran ist der Glaube, das scheinbar Echte könnte die Glaubwürdigkeit, das angeblich Wahre die Wahrhaftigkeit der Geschichte ersetzen. Wer Bataillone kommandieren kann, braucht sich um die Darstellung des Verhältnisses von Amerikanern und Deutschen, von Siegern und Besiegten keine Gedanken zu machen. Die Szene zum Einmarsch: GIs verteilen Kaugummi.
Perfide wird der Wille zur Echtheit in der Geburtsszene. Kati kommt nieder, pünklich zum Kriegsende und zum Einmarsch der Amerikaner in die bayerischen Dörfer. Nicht nur die Panzer sind echt, auch die Geburt: Wehen in Großaufnahme. Dana Vavrova ist nicht nur die heute 23jährige Hauptdarstellerin, sondern auch die Gattin Vilsmaiers. „Mit der Geburt der zweiten Tochter Theresa am 8. Juni 1989 beginnen die Dreharbeiten zu Rama dama“, heißt es im Presseheft. Aus der Niederkunft der Frau, aus dem Kinderkriegen wird ein Stück Regiearbeit. Der Film wäre nicht besser und nicht schlechter, wenn die Szene gestellt wäre. Daß die Geburt der eigenen Tochter auf die Leinwand mußte, kann keinen anderen Grund haben als Chauvinismus: der Säugling als Männerprodukt. Dana Vavrova scheint's nicht gestört zu haben. Hinterher lächelt ein schwarzer Soldat ins Fenster hinein.
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Ein Opfer gibt es auch. Eines Tages kehrt Dr. Bisenius, der gebildete, distinguierte Nachbar von Kati, aus dem KZ zurück, ein gebrochener Mann. Daß er im KZ war, ahnt man aber nur, gesprochen wird darüber nicht. Man erfährt auch nicht, was Kati und Felix getan haben, als er abgeholt wurde. Auch nicht, wie Kati und Felix darüber gesprochen haben. Oder geschwiegen. Dr. Bisenius bittet Kati um eine Rasierklinge. Am selben Abend wird seine Leiche aus dem Haus getragen: rama dama. So wird symbolisch auch noch die letzte Erinnerung ausgelöscht.
Der deutschen Tüchtigkeit haftet von nun an kein Makel mehr an.
Joseph Vilsmaier: Rama dama, mit Dana Vavrova, Werner Stocker, BRD 1990, 110 Min.
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