Triumph für radikale Nationalisten

Kazimiere Prunskiene ist zurückgetreten, weil sie im litauischen Parlament keine Mehrheit fand/ Die Abgeordneten begrüßten den Rücktritt der Ministerpräsidentin/ Hardliner in Moskau sind gestärkt  ■ Aus Moskau K.H. Donath

Kazimiere Prunskiene war gerade von einem 30minütigen Krisengespräch mit Präsident Gorbatschow aus Moskau zurückgekehrt, als sie dem litauischen Parlament ihren und den Rücktritt ihres Kabinetts unterbreitete. Zwar herrschte darauf erst einmal Stille unter den rund hundert versammelten Volksvertretern. Doch in der folgenden Abstimmung offenbarte sich die Einmütigkeit: 71 Abgeordnete nahmen ihren Rücktritt an, 22 enthielten sich der Stimme und lediglich acht votierten für sie.

Diese glasklare Entscheidung gegen die im Ausland sehr geschätzte Premierministerin signalisiert die Radikalisierung und Verhärtung der Fronten innerhalb der Ostseerepublik, die als erste Sowjetrepublik im März vergangenen Jahres ihre Souveränität erklärt und von Moskau daraufhin harte Sanktionen zu spüren bekommen hatte.

Prunskienes Rücktritt wird Litauen hart treffen. Denn er fällt in eine Zeit, in der der ständig virulente Konflikt mit der Moskauer Zentrale wieder an Schärfe gewinnt. Um die Aushebung litauischer Rekruten zu garantieren, hatte das sowjetische Verteidigungsministerium am Montag die Order erlassen, Fallschirmjägerverbände in den kleinen Ostseestaat zu schicken. Im Kreml traf sie mit Gorbatschow zusammen, um, bisher ohne Erfolg, eine einvernehmliche Lösung zu finden.

Der äußere Anlaß ihres Rückzugs war allerdings die Entscheidung des Parlaments, den Beschluß ihres Kabinetts, die Verbraucherpreise zum 1. Januar um 300 Prozent anzuheben, wieder rückgängig zu machen. Dies empfand die Ministerpräsidentin als einen Boykott des gesamten Reformpakets, das von ihrer Regierung vorgelegt worden war, selbst der Haushalt ist schon neu berechnet gewesen. Auch die anderen beiden baltischen Republiken hatten vergangenes Jahr bereits eine Preiserhöhung verfügt. Die Mehrheit der 119 Abgeordneten, von denen 90 allein der nationalen Volksfront „Sajudis“ angehören, wollten diesen unpopulären Schritt nicht mitvollziehen, weil sie Proteste der litauischen Bevölkerung befürchten.

Ein unrühmliche Rolle in diesem Konflikt spielt dabei der als Hitzkopf bekannte litauische Präsident Vytautas Landsbergis. Zwar stimmte er dem Vorhaben der Regierung zu, sprach sich aber mehrfach gegen die Premierministerin aus. Als vorgestern mehrere tausend Menschen, unter ihnen vor allem Angehörige der russischen und polnischen Minderheit, vor dem Parlament gegen die Preiserhöhung demonstrierten - einigen gelang es sogar, obwohl aus Gartenschläuchen mit Wasser bespritzt, in das Gebäude einzudringen - schloß Landsbergis noch kategorisch aus, daß auch Litauer an den Regierungsmaßnahmen Mißfallen finden könnten. Natürlich weiß Landsbergis, der nach letzten Umfragen an Popularität mit der Premierministerin gleichauf liegt, daß er letztlich die Litauer auf seiner Seite hat, wenn er die Preiserhöhung zu Fall bringt. Denn davon will die Bevölkerung auch hier nichts wissen, obwohl andererseits alle von Reformen reden.

Der Konflikt zwischen Landsbergis und Prunskiene schwelt schon seit der Unabhängigkeitserklärung. Die Premierministerin, zu Hause die „Bernstein-Lady“ genannt, galt als Pragmatikerin. Schon als Mitglied der KP Litauens setzte sie sich dafür ein, die 1940 verlorene Eigenstaatlichkeit zurückzugewinnen. Doch sie plädierte im Gegensatz zu Landsbergis für einen moderateren Weg und suchte den Dialog. Einen ersten Konflikt schürte sie herauf, als sie vergangenes Jahr den Vorsitzenden der litauischen Kommunisten, Algirdas Brazauskas, zu ihrem Stellvertreter ernannte. Hart wurde sie von den radikalen Nationalisten innerhalb der „Sajudis“ angegangen, als sie während des Moskauer Embargos gegen deren Willen, weiterhin die Kontakte zum Kreml aufrechterhielt. Trotzdem gelang es ihr im Juni, das Parlament von einer vorübergehenden Suspendierung der Unabhängigkeitserklärung - wie sie Moskau zur Verhandlungsvoraussetzung erklärt hatte - zu überzeugen. Es heißt auch, sie habe einen Plan vorgelegt, der eine Unabhängigkeit Litauens vorsieht, darüber hinaus aber von einer zukünftigen nach dem EG-Modell strukturierten UdSSR ausgeht. Daß sie mit diesen Vorstellungen bei den Nationalisten kein Gehör findet, muß nicht verwundern. Denn auch Ministerpräsident Landsbergis fährt seit seiner Amtsübernahme einen kompromißlosen antisowjetischen Kurs. Auch auf die Gefahr hin, wie er es kürzlich in einem Interview durchblicken ließ, daß es zu blutigen Auseinandersetzungen mit der Sowjetmacht kommen könnte. Die Bildung paramilitärischer Verbände läuft schon seit einiger Zeit in Litauen. Und von offizieller Seite wird dagegen nichts unternommen. Im Gegenteil, Landsbergis jüngster Demonstrationsaufruf, dem allerdings nur tausend Leute folgten, tut alles dafür, die „Wehrhaftigkeit“ zu mobilisieren. Ein Kamikaze-Unternehmen, dessen Verlierer schon heute feststehen. Selbst Abgeordnete der „Sajudis“ befürchten nach Prunskienes Rücktritt jetzt einen scharfen Ruck in Richtung Nationalismus.

Landsbergis steht nicht allein. Gestern demonstrierten wiederum 10.000 Menschen vor dem Parlament gegen die russische Minderheit und für die Unabhängigkeit Litauens. In Moskau wird das die Verfechter der harten Linie freuen. Dagegen hat sich Landsbergis in Vilnius als der radikalste Führer des Baltikums profiliert. Das ist ein Bärendienst für die Unabhängigkeit des Landes.