: Haan stürzt Schmelzer
■ Der Weltmann gewinnt gegen den Provinzfürsten PRESS-SCHLAG
Der einst so ruhmreiche 1. FC Nürnberg ist ein armer Verein. Man hat in den letzten Jahren mit Dorfner, Schwabl, Reuter, Grahammer, Eckstein, Sane und Anderson eine halbe Nationalmannschaft verkauft und jetzt trotzdem nicht einmal das Geld, um aus dem erfolglosen Teamchef Arie Haan einen fliegenden Holländer zu machen.
Dabei war sein Rausschmiß für Clubpräsident Gerd Schmelzer schon beschlossene Sache. Doch die Angst vor horrenden Abfindungssummen ließ den Krisengipfel aus Präsidium, Finanz-, Wirtschafts- und Vereinsrat vor diesem Schritt zurückschrecken. Schließlich beträgt der aktuelle Schuldenstand des Vereins vierzehn Millionen. Schmelzer zog die Konsequenz und trat nach siebenjähriger Amtszeit zurück.
Vor 198 Tagen war alles noch ganz anders. Kaum hatte sich der Club vom bodenständigen Ruhrpott-Mann Hermann Gerland getrennt, sonnte sich Immobilienmakler Schmelzer schon im Glanze des frisch engagierten Arie Haan. Ein Weltmann sollte die Profimannschaft zu neuen Höhen führen. Der Präsident versprach, nicht mehr in die Kompetenzen des Trainers hineinzureden. So bekam der vom VfB Stuttgart gefeuerte Holländer Vollmachten wie vor ihm kein Clubtrainer und eine Monatsgage von 62.000 DM. „Arie Haans Gehalt entspricht seinem Können“, wehrte Schmelzer jegliche Kritik ab, denn „nur Erfolgsmenschen können Erfolg vermitteln“.
Der Erfolg der seit Jahren betriebenen Ausverkaufspolitik ließ nicht lange auf sich warten. Statt den „Fußball zu kultivieren“ (Haan), sackte der Club in der Tabelle immer weiter ab und verprellte von Heimspiel zu Heimspiel seine treuen Fans. Hatte Haan zu Anfang noch lamentiert, daß „keiner sein System“ begreife, lobte der eloquente Teamchef später seine Spieler auch noch nach einer 0:4-Auswärtspleite, sie seien nicht schlechter als der Gegner gewesen.
Nach der deftigen Niederlage im letzten Heimspiel vor der Winterpause gegen den Tabellenletzten Hertha BSC (1:4) begann Schmelzer, sich in gewohnter Manier einzumischen und hinter den Kulissen an Haans Stuhl zu sägen. Verpaßte Haan seinen Spielern gegenüber der Presse einen Maulkorb, hob Schmelzer den Erlaß einen Tag später wieder auf. Nahm sich Haan für das letzte Punktspiel in München ein Unentschieden vor, meinte Schmelzer, eine knappe Niederlage wäre schon ein Erfolg. Haans Wutausbruch, der Präsident habe sich „zu weit aus dem Fenster gelehnt“ und die Mannschaft demotiviert, war für den eitlen Clubboß das Signal zur offenen Jagd.
Während Haan im Urlaub weilte, fädelte Schmelzer den sensationellen Transfer von Nationalspieler Dorfner vom FC Bayern nach Nürnberg ein. 1984 hätte der Club Dorfner für 50.000 kaufen können, Schmelzer lehnte dankend ab. Jetzt kostet der Nationalspieler satte zwei Millionen. Finanziert wird der Deal von der Fotofirma „Reflecta“. Deren Boß, Gerhard Junge, verkündete zwar, er wolle sich nicht in die Fragen des Trainers einmischen, macht sich aber ganz im Sinne seines Werbeengagements für weitere Verstärkungen stark. Thomas Adler von Blau- Weiß 90, der in Leverkusen ausgemusterte Alois Reinardt sowie der Ex-Nürnberger Dieter Eckstein stehen auf seiner Wunschliste.
Als Haan nach den Hallenturnieren seinen Urlaub in der Karibik vom 6. bis 17. Januar gebucht hatte, ordnete Schmelzer kurzerhand den Trainingsbeginn für den 9.Januar an. Gleichzeitig verkündete er der Presse, sein Trainerfavorit heiße fortan Heinz Höher.
Der Ober sticht zwar meist den Unter, doch diesmal nicht. Die Rechenkünste des Finanzrates behielten die Oberhand. Haan hätte bis zum Auslaufen seines Vertrags noch 1,1 Millionen zu bekommen. Eine Abfindung dürfte daher etwa eine halbe Millionen betragen, beim VfB Stuttgart hatte Haan 400.000 abgezockt. Dazu wäre ein neuer Trainer zu bezahlen, und was tun mit Haans Co-Trainer Renner?
Die „richtungsweisende Entscheidung“, die Schmelzer mit Haans Kündigung herbeiführen wollte, wurde für ihn selbst zum Blattschuß. Weltmann Haan stürzt den Provinzfürsten Schmelzer, muß aber auch Federn lassen. Sein Vertrag wurde um ein Jahr gekürzt. Er darf nun bis zum 30. Juni beweisen, daß er „kein Absahner“ (Haan) ist. Bernd Siegler
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen