Mit Saltos vor- und rückwärts ins Desaster

Der Absturz zweier italienischer Piloten bringt die Stimmung in Italien an einen gefährlichen Kipp-Punkt/ Italiener können sich nicht entscheiden, ob sich ihre Wut gegen die eigene Regierung oder die Irakis richten soll/ Erste Hatz gegen Araber  ■ Aus Rom Werner Raith

In der Espressobar „Battibecco“ an der Via Pontina bringt Enzo die Sache auf den Punkt: „Der Verrückte gehört weg.“ In der Kirche Santa Maria Maggiore zu Rom beten die Gläubigen „für ein Nachgeben des Verantwortlichen“, im jüdischen Viertel am Tiber-Ufer hofft ein Sprecher, daß „man diesen Menschen entschärft, ehe er unsere Leute angreift“. Und sogar bei den am Bahnhof herumstehenden Arabern ist die Meinung eher gegen den Iraker: Der vertue da, so ein gewisser Achani, nach eigenen Angaben aus Bagdad, aber kein Dissident, „die Chance, der Welt gleichzeitig das Selbstbewußtsein und die Macht der Araber und ihren Sinn für Menschlichkeit zu demonstrieren“.

Dennoch: Diese kollektive Grundstimmung schwankt, fast einheitlich, von Stunde zu Stunde. Hatte bis zum Mittwoch eine sportlich-voyeuristische Haltung dominiert (vergleichbar dem „Hau doch zu!“ beim Boxen oder, brutaler, dem „Spring doch!“ beim Selbstmörder auf dem Hochhausdach), so herrschte nach dem Angriff entsetztes Schweigen. Man hatte, wie in anderen Ländern auch, gleichzeitig das Losgehen und das Nichtlosgehen der Aktionen erhofft. Entsprechend skurril die Reaktion: Solange die Nachrichten eher für eine friedliche Lösung sprachen, stürmten die Menschen die Geschäfte, hamsterten die Regale leer; doch kaum war der Krieg da, ging fast niemand mehr einkaufen.

Analoges auf den Bildschirmen: Solange noch wenigstens einige Zeichen auf Frieden standen, überboten sich die Experten an Kriegsszenarien; kaum flogen die ersten Bomben, fehlten nahezu allen die Worte. Erst am Donnerstag abend wurden wieder die eigenen Korrespondenten zugeschaltet, bis dahin gab es fast ausschließlich Übernahmen aus US- amerikanischen Übertragungen oder von der US-Army bereitgestelltes Reklamematerial.

Nachdem sie die Sprache wiedergefunden hatten, lobten alle den „großartigen strategischen Erfolg“ der Amerikaner, schrien jeden nieder, der (wie ein armer Ex-Oberst im Fernsehen) etwas von der „Unmöglichkeit einer entscheidenden Schwächung des Irak in so kurzer Zeit“ murmelte, gab das Parlament in der Meinung, der Krieg sei sowieso schon fast zu Ende, der Regierung freie Hand für Kriegseinsätze (sogar eine Grünen-Abgeordnete stimmte dafür) und richteten alle ihre Aufmerksamkeit bereits auf mögliche Nachkriegs-Verzweiflungsaktionen „schon bereitstehender palästinensischen Terroristen“; da kam die Nachricht vom Gegenschlag Richtung Israel — und wieder herrschte atemlose Lähmung. Polizisten in den Straßen Roms berichteten, daß die von ihnen bereits beobachtete Hatz auf Araber abrupt aufhörte, später verhafteten die Wachposten an der Synagoge die ersten antisemitischen Graffitimaler.

Dann kam die Meldung vom Abschuß eines italienischen Tornado — und hier entwickelte sich nun sofort eine Mischung aus Wut und Verzweiflung, weil „gerade unsere Jungen als erste dran sind“ (so eine weinende Mutter in Rundfunk). Unentschieden noch, ob sich die Wut gegen die Regierung mit ihrem schnellen Mitmachentschluß richten wird oder gegen diejenigen, die den Bomber abgeschossen haben. Da gleichzeitig auch andere Jets dieses Typs beim Appell fehlten — auch Engländer beklagen Verluste — fiel mittlerweile so manchen auch schon eine fromme Nutzung des Debakels ein: „Unsere Regierung sollte einfach erklären, der Tornado sei nicht wüstentauglich, dann könnten unsere Jungs doch sofort wieder heimkehren.“

Der Moderator wollte die Frage gerade an einen Experten weitergeben, da berichteten die Agenturen von der Vergeltungsaktion der Amerikaner — und daß diese von der Türkei aus gestartet war. „Ist das nun eine gute oder eine schlechte Nachricht?“ fragte er sich halblaut. „Einerseits wird so die ganze Nato hineingezogen, andererseits aber verlagert sich das Zentrum nach Norden, und da haben wir, Gott sei Dank, niemanden stationiert.“