Diepgen-Sondernummer

■ Die Montagsexperten kommen außer der Reihe zu Wort - zu Ehren des Regierenden Bürgermeisters 1000HAUPTSTADT GANZ NACKT — FOLGE 4

Diepgen also. Wer hätte das gedacht, daß dieser Mensch, der einst aus dem Nichts kam, um als Nichts zu regieren, woraufhin er wieder ins Nichts ging, nun wieder — ja, als was eigentlich — aufträte? Regierender Bürgermeister? Ja ja ja. Das Diepgen regiert wieder die Stadt, er regiert eigentlich nicht. Er ist nur da — so da, wie es eben auch Brücken gibt mitten in der Landschaft, von denen niemand weiß, wieso sie eigentlich da sind, weil es keine Straßen gibt, die zu ihnen hinführen.

Diese Brücken nennt man So- da-Brücken, weil sie nur so da sind. Und Diepgen ist ein So-da-Bürgermeister, weil er so da ist. Schwierig, aber nicht unbegreiflich. Denn wie die So-da-Brücken mitten in einer Landschaft »Verkehr« rufen, ruft Diepgen »Regierender Bürgermeister«. Keiner glaubt es ihm. Weil niemand weiß, wie er aussieht. Fünf Sekunden auf sein Wahlkampfplakat geguckt, und schon ist man reif für das Nirwana, das Mantra der parlamentarischen Demokratie auf der Zunge.

Marx, jawoll, Marx hat einmal bemerkt, daß Hegel einmal bemerkt hat, daß sich alle großen weltgeschichtlichen Tatsachen und Personen sozusagen zweimal ereignen. Marx hat hinzugefügt: das eine Mal als Tragödie, das andere Mal als Farce. Er hat nicht mit Diepgen gerechnet. Denn Diepgen ereignet sich gleich als seine eigene Farce, ohne das man wüßte, wer seine Tragödie gewesen sein sollte. Wahrscheinlich der Wedding, aus dem er kommt. Wahrscheinlicher: nicht einmal das.

Schon als er das erste Mal die weltgeschichtliche Bühne als Regierender betrat, war er eine Farce. Einige glaubten, die von von Weizsäcker. Wo dieser immerhin adlig war und silbern behaart, da hatte Diepgen nur gut geföhntes Strohhaar, was im Gegenlicht den Eindruck von Heiligenschein gab, im Grunde aber nur jenes schwarze Loch markierte, in das im Weltall ganze Milchstraßen verschwinden. Doch, schade für diese Theorie, auch von Weizsäcker war schon eine Farce. Bei ihm wußte und weiß man bis heute nicht, ob er nun Bundespräsident oder Hoteldirektor oder nur Grußdirektor ist.

Sie sehen alle gleich aus: graumeliert und so solvent wie der mögliche Mieter einer Einzimmerwohnung, die nur an ältere, nichtrauchende Handwerker vergeben wird. So einen hätte man gerne als Schwiegervater und Diepgen als Trauzeugen, denn dann kann man ohne Probleme die ganze Angelegenheit annullieren, schließlich: Wer würde den Zeugen schon wiederfinden?

Doch gerade dies Nur-so-da macht aus Diepgen einen Politiker allermodernster Art. Denn was eigentlich nicht ist, kann auch nicht kritisiert werden. Die Politik werden machen: der Innensenat, der Bausenat, der Justizsenat und Gott weiß wer noch alles, und wenn jemand schimpft, heißt es: Wenden Sie sich an den Regierenden. Den aber gibt es nicht. Oder nur als Diepgen. Was auf das gleiche hinausläuft. Diepgen als das schwarze Loch der Berliner Politik wird alles schlucken und wiedergewählt werden. Top, diese Wette gilt: Wer nichts ist, kann alles werden. Höttges