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Turgut Özal spielt mit dem Feuer

Istanbuler Zeitungen melden Bombardierungen im türkisch-irakischen Grenzgebiet/ Radio Teheran spricht von 20.000 Toten in den kurdischen Gebieten des Iraks/ Vorbereitungen zum Einmarsch in den Irak/ Rafsandschani auf Sondermission in Ankara  ■ Aus Istanbul Ömer Erzeren

Während die US-Bomber weiterhin vom türkischen Luftwaffenstützpunkt Incirlik aus Ziele im Irak bombardieren, werfen türkische Kriegsflugzeuge entlang der türkisch-irakischen Grenze Bomben ab. Mittlerweile sind über 17 Bomben auf türkischem Territorium abgeworfen worden. Die Istanbuler Zeitschrift 'Ülke‘ zitierte Yusuf Dogan vom Dorf Caliskan unmittelbar in Grenznähe: „Es war am 18. Januar, nachts um drei Uhr. Die Flugzeuge bombardierten Zaho im Irak, und die irakische Flugabwehr feuerte auf sie. Es dauerte zwanzig Minuten. Ich dachte, die Flugzeuge kehren zurück. Doch bei Beve Baya, genau zwischen unserem Dorf und Dere Deva, kam eine Bombe runter. Als wir morgens hingingen, sahen wir die Zerstörungen.“

Während die Bomben in der Türkei gegen mutmaßliche Stellungen der kurdischen Guerilla PKK („Arbeiterpartei Kurdistans“) gerichtet sind, werden laut Zeugen im Grenzgebiet ganze kurdische Dörfer im Nordirak bombardiert. „Die Dörfer Bawarde, Tuyane, Xirabdere, Badirme, Rabenga, Kuzaf und Dornex sind verwüstet“, meldete gestern die Zeitschrift '2000e Dogru‘. Die Zeitschrift erreichte die Kioske nicht. Alle Ausgaben wurden auf Weisung des Staatssicherheitsgerichtes im Vertrieb beschlagnahmt. Radio Teheran meldet 20.000 Tote in den kurdischen Gebieten des Iraks. Sprecher des Generalstabes bestreiten nicht, daß auch Bomben auf türkischem Territorium fallen. Doch es handele sich nicht um „Luftangriffe“.

Cizre und Silopi, wenige Kilometer von der Grenze entfernt, sind Aufmarschgebiet der türkischen Armee. Panzerkolonnen, Artilleriegeschütz und Truppentransporter treffen täglich im Gebiet ein. Soldaten berichteten, daß die türkische Armee die Minen im Grenzgebiet säubert. Das Gebiet ist zum militärischen Sperrgebiet erklärt. Alle Vorbereitungen auf einen eventuellen Einmarsch in den Nordirak sind getroffen.

Unterdessen hat das türkische Kabinett am Wochenende alle Streiks verboten. „Aufgrund von Sicherheitsbedenken und aufgrund von Informationen, daß die Arbeiter durch die Streiks Schaden nehmen, werden alle Streiks für sechzig Tage ausgesetzt“, gab der Kabinettssprecher Mehmet Yazar bekannt. Hunderttausende Arbeiter befinden sich im Streik, der Streik der Bergarbeiter Zonguldaks ist im zweiten Monat. In den Gewerkschaften herrscht Krisenstimmung. Am Wochenende waren die Gewerkschaftsbüros voll mit Funktionären und Arbeitern — Krisenstäbe: Aktionsformen gegen das Streikverbot der Regierung werden überlegt. Die Stimmung ist angeheizt. Am Freitag hatten Gewerkschafter vor dem US-Konsulatsgebäude in Istanbul demonstriert. Zwanzig Personen waren festgenommen worden. In mehreren türkischen Städten ging die Polizei mit Tränengas und Warnschüssen gegen Antikriegsdemonstranten vor. In der osttürkischen Stadt Tatyan wurde bei den Protesten ein Mann von der Polizei erschossen.

Gleichzeitig kündigte das Kabinett an, daß das Gesetz Nr. 2932, welches den Gebrauch der kurdischen Sprache verbietet und mit zwei Jahren Gefängnis bestraft, aufgehoben werden soll. In der Vergangenheit waren entsprechende Gesetzentwürfe der Opposition abgeschmettert worden. Das Justizministerium wird nun eine neue Gesetzesvorlage erarbeiten. Zuverlässigen Kreisen in Ankara zufolge wird nicht an eine volle Legalisierung der kurdischen Sprache gedacht. Die Verfassung verbietet den Gebrauch des Kurdischen in der Schule und als Amtssprache. Nach der Neuregelung sollen ebenfalls keine kurdischen Zeitungen und Bücher zugelassen werden. Nur Toncassetten, Videos und Schallplatten können in Zukunft frei vertrieben werden.

In der Realität war das Gesetz Nr. 2932 bereits seit Jahren durchlöchert. Die Kurden in der Türkei hören ohnehin seit Jahren kurdische Cassetten, die offen verkauft werden. Niemand befindet sich zur Zeit aufgrund dieses Gesetzes im Gefängnis. Verurteilt wird mit dem Strafrechtsparagraphen 142/3: Wer die Forderung nach kurdischer Selbstbestimmung aufstellt, dem drohen Gefängnisstrafen zwischen 5 und 15 Jahren. Dies soll auch so bleiben.

Ein kurdischer Staat im Nordirak, der nach der Schwächung des Saddam-Hussein-Regimes entstehen könnte, ist eine Schreckensvision für die türkischen Politiker. Als Gegenleistung für das Versprechen der USA, kurdische Autonomiebestrebungen gegen Saddam Hussein nicht zu unterstützen, hat das türkische Regime seit Beginn der Golfkrise alle Wünsche und Forderungen der USA erfüllt. Die Instrumentalisierung der Kurden durch die Regionalmächte Iran und Irak und durch die USA hatte schon immer große Verärgerung in Ankara hervorgerufen. Geht es nach dem türkischen Staatspräsidenten Özal, soll sich nun auch die Türkei an dem Spiel beteiligen. Mit dem Köder kultureller Autonomie könnte sich die Türkei als Schutzmacht der Kurden im Nordirak aufspielen — Legitimation für die Einverleibung der erdölreichen Gebiete um Kerkuk und Mossul. Özal hat vor der Ankündigung des Kabinetts, das Gesetz Nr. 2932 abzuschaffen, ganze Gruppen von Abgeordneten der regierenden Mutterlandspartei empfangen und sie über den neuen Kurs aufgeklärt: „Die USA können nach Ende des Krieges nicht lange in der Region bleiben. Es bedarf Mächte, die das Gebiet unter Kontrolle halten. Die Türkei ist eine solche Regionalmacht.“

Nicht umsonst betont Özal die 400 Jahre fortwährende Präsenz der Osmanen in dem Gebiet. Özals Plan ist ein Spiel mit dem Feuer. Das Militär ist gegen die Verwicklung der Türkei in den nahöstlichen Hexenkessel. „Wir brauchen Generäle, die Krieg führen“, soll Özal zu dem ehemaligen Generalstabschef Necip Torumtay gesagt haben, der wegen der Golfpolitik Özals seinen Hut nehmen mußte. Die Generäle setzen eher auf die kemalistische Doktrin, daß die Grenzen unantastbar sind. Es dürfen innenpolitisch keine Konzessionen an die Kurden gemacht werden, die Assimilation der in der Türkei lebenden Kurden ist angesagt. Folglich darf man auch nicht mit Kurden außerhalb der türkischen Grenzen liebäugeln, um militärisch zu expandieren. „Um jeden Preis muß verhindert werden, daß einer ethnischen Gruppe Konzessionen gemacht werden“ gab Sabri Yirmibesoglu, ehemaliger Generalsekretär des nationalen Sicherheitsrates und einer der ranghöchsten Generäle, den Zeitungen zu Protokoll.

Von den Strategieplänen Özals sind bereits die Nachbarn Syrien und Iran aufgeschreckt. Der iranische Staatspräsident Rafsandschani schickte sogar einen Sonderbotschafter nach Ankara.

Doch auch wenn Özal bekräftigt, daß die Türkei keinerlei geographische Veränderung anstrebt und keine Gebietsansprüche gegenüber dem Irak hegt, hat sie sich bereits heute ganz auf den Waffengang jenseits ihrer Grenzen eingestellt. „Wir haben keine Angst. Vergeßt nicht, daß wir ein kriegerisches Volk sind“, frohlockte er im Fernsehen.

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