Lobbies sorgen für Konfusion im Binnenmarkt Europas

Unternehmer wollen die Europäische Aktiengesellschaft, um leichter fusionieren zu können/ DGB fürchtet Einschränkung der deutschen Mitbestimmung  ■ Von Sabine Ehrhardt

Sie ist „unbedingt notwendig für das Funktionieren des EG-Binnenmarktes“, glaubt der Bundesverband der deutschen Industrie. Für „eine Gefahr für die deutsche Mitbestimmung“ halten sie die bundesdeutschen Gewerkschaften. Die EAG, die Europäische Aktiengesellschaft, ist seit Jahren Zankapfel der Tarifparteien. Ende letzter Woche beschäftigte sich das Europaparlament mit einem neuen Statutenentwurf der EG-Kommission.

UnternehmerInnen erhoffen sich von der EAG, in der sich Firmen aus den zwölf Mitgliedsstaaten EG-weit zusammenschließen können, leichtere Fusionsmöglichkeiten im Binnenmarkt ab 1993.

Wolfgang Leonhard, Sekretär im Rechtsausschuß des Parlamentes, sieht nach den Parlamentsberatungen jetzt weitgehend Einigkeit zwischen arbeitgeber- und arbeitnehmerfreundlichen Parteien. „Sogar die britischen Konservativen haben die Vorschläge zur Mitbestimmung mitgetragen.“ Erstaunlich, hatte doch Maggie Thatcher immer befürchtet, daß mit der Einführung der EAG der Sozialismus ausbrechen würde. Bisher nämlich sind die britischen ArbeitnehmerInnen, anders als ihre deutschen KollegInnen, an der Unternehmensleitung überhaupt nicht beteiligt.

Bereits seit den 60er Jahren will die EG-Kommission den völlig neuen Typ der Aktiengesellschaft schaffen: überall in der EG gültig und anwendbar, einheitlich in seiner Form und vom jeweiligen nationalen Recht unabhängig. Unternehmen sollen so innerhalb der EG besser zusammenarbeiten können. Wie die Kommission selbst erklärt, hat sie dabei die internationale Konkurrenzfähigkeit vor Augen.

Profitieren könnten von der EAG alle Unternehmen — kleinere, mittelständische aber auch Großkonzerne. „Bisher ist eine Kooperation und Fusion in europäischen Gesellschaftsformen nicht möglich“, sagt Peter Wiesner, Rechtsexperte des Bundesverbandes der deutschen Industrie (BDI). Zwar würden Unternehmen schon jetzt EG-weit zusammenarbeiten und auch Tochtergesellschaften gründen. Aber, so Wiesner weiter, mit der EAG ginge das viel leichter, weil man auf eine wirklich einheitliche Form zurückgreifen könnte. Und das würde vor allem Kosten sparen. Voraussetzung allerdings wäre, daß auch das Bilanz- und das Steuerrecht angeglichen werden. Doch genau das spart der Statutsentwurf der EG-Kommission aus — weil man sich dort nicht einigen konnte.

Schon bei der Struktur der EAG stellt der Entwurf den Unternehmen zwei Modelle zur Wahl: Das dualistische System unterscheidet zwischen einem Leitungs- und einem Aufsichtsorgan. In einer deutschen Aktiengesellschaft sind das der Vorstand und der Aufsichtsrat. Im monistischen System, wie es beispielsweise in Großbritannien üblich ist, werden Leitung und Kontrolle der Gesellschaft von einem einzigen Organ ausgeübt. Die Unterschiede in den EG-Ländern sind gravierend, eine Vereinheitlichung ist nicht in Sicht, wie Joachim Ganske vom Bundesjustizministerium sagt. „Beim Bilanzrecht oder bei den Steuern verweist das EAG-Statut immer auf die nationalen Gesetze.“ Solange dies so sei, könne die EAG nicht funktionieren.

In der alten Bundesrepublik sind rund 2.300 Aktiengesellschaften und 390.000 GmbH eingetragen, für die die EAG von Nutzen sein könnte. Das Parlament hat jetzt vorgeschlagen, daß sich auch die GmbH direkt in eine EAG umwandeln können sollen. Nach dem Kommissionsentwurf müßten sich die GmbH zunächst in eine Aktiengesellschaft umwandeln, um dann eine EAG zu gründen.

Bis die EAG schließlich als europaweit einheitliche Rechtsform vom Ministerrat verabschiedet wird, dürfte noch einige Zeit vergehen. Denn noch völlig ungeklärt ist die Mitbestimmung der ArbeitnehmerInnen.

Klaus Schmitz, Sprecher des DGB, bemängelt am Kommissionsentwurf die verschiedenen Mitbestimmungsmodelle, von denen einige kaum Rechte für die ArbeitnehmerInnen vorsehen würden. Schmitz gibt sich dennoch optimistisch. Im Grunde hätten die bundesdeutschen Geschäftsleitungen doch bisher gute Erfahrungen mit dem Sachverstand der Arbeitnehmervertretungen gemacht. „Wir wollen im Aufsichtsrat ja gar nicht so revolutionär sein“, sagt Schmitz. Das könnte ins Auge gehen. Denn der Statutsvorschlag erlaubt es den Regierungen, ein einziges Mitbestimmungsmodell für alle EAG in ihrem Land vorzuschreiben und andere Modelle auszuschließen.

Der Kommissionsentwurf sieht mehrere Mitbestimmungsmodelle vor: Im sogenannten deutschen Modell sind mindestens ein Drittel und höchstens die Hälfte der Mitglieder des Aufsichtsorgans ArbeitnehmerInnen. Eine zweite Möglichkeit ist eine separate Arbeitnehmervertretung, die — ähnlich wie in Frankreich — den Aufsichtsrat berät. Als dritte, schwammigste Variante sieht der Entwurf tarifvertragliche Vereinbarungen zwischen EAG und Arbeitnehmervertretung vor.

GewerkschafterInnen befürchten daher einen Umzug der Chefetagen in unternehmerfreundlichere Gefilde, selbst wenn wesentliche Betriebsstätten in der BRD blieben. Wichtige Unternehmensentscheidungen könnten dann an den ArbeitnehmerInnen vorbei gefällt werden. Eine Möglichkeit, die auch der Industriellenverband BDI nicht ausschließt.

Ein starkes Interesse an der EAG besteht bei den UnternehmerInnen auf jeden Fall. „Der BDI hat die EAG schon immer gefordert“, so Peter Wiesner vom BDI. Für die Mitbestimmung wünscht er sich ein „mittleres Niveau“, das die „Traditionen“ in allen EG-Ländern berücksichtige.

Während die UnternehmerInnen vielfach schon europäisch denken, will der DGB erst einmal abwarten und sich im Europäischen Gewerkschaftsbund beraten. Große Gedanken über die EAG hat sich Schmitz noch nicht gemacht. „Bis jetzt ist der Kelch an uns vorübergegangen.“