: Martyn Bates
■ Trauertroubadour ohne Marzipan
Viele musikalische Vergangenheiten sind im Laufe der letzten Dekade im Hypestrudel von Rap, Neorock und Rave verlorengegangen. Meistens die zerbrechlichen, zartgewachsenen, die federleicht über der Öffentlichkeit schwebten, und kaum den Boden des Business berührten.
In England waren es gleich die gesamten Musizierenden eines ganzen Labels, den »Cherry Red Records«. Nur Everything But The Girl wurden von dort aus langweilig und berühmt. Wo sind aber all die anderen geblieben, die Kevin Coynes und Thomas Leers, die pophymnischen Passage und die melancholischen Eyeless In Gaza?
Von Eyeless In Gaza hat Sänger/Songwriter Martyn Bates überlebt. Der vormalige Trauertroubadour, dessen bittere Süße weit vor der marzipanenen eines Marc Almond rangierte, hat freiwillig viel von seinem einstigen Klagewillen eingebüßt.
Die Musik ist aus dem minimal experimentierenden Kreis in helles Poplicht getreten. In wunderschönen Liedern und ohrwürmelnden Refrains ist seine zerbrechliche Musikalität zur wahren Größe ausgereift, mit der er sich zwischen Tim Buckley und Nick Drake postieren könnte, am Balladenhimmel.
Doch beide sind tote Legenden. Bates aber will nicht an seine morbide Vergangenheit, die schmachtenden Liebeserklärungen an ewige Ruhe und kalten Marmor anknüpfen und als folkloristische Grabgesangsvariante alter Joy Division-Weisen zu Ehren gelangen. Der Lebenstrieb überwiegt und siegt. Schwermütig zwar, aber mit der Neigung zur blühenden Natur behaftet, singt er hier in der Welt und nicht zwei Stockwerke höher oder tiefer. Mal nur vom Banjo begleitet (»Wintersky«), dann wiederum zur filigranen Vielfalt romantischer Miniaturen strebend, als würde Franz Schubert einen Liederzyklus erträumen.
Den inneren Weg scheint Martyn Bates weitgehend verlassen zu haben. Die Melancholie ist ihm allerdings auch im Alter erhalten geblieben. Nach seinen sinistren Gesängen für den Soundtrack zur Derek Jarmans Film »The Last of England« fällt wieder Licht auf die verdörrten englischen Vorgärten. Etwas davon kann man sich auf Der Insel zu Gemüte führen. Harald Fricke
Um 22 Uhr auf Der Insel
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