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Nürnberg: Attacke im Kinderzimmer

■ Kriegsspielzeug im Vormarsch/ Golfkrieg bescherte Spielwarenmesse Boom — und Besucherrückgang

Nürnberg (dpa/taz) — Das Geschäft mit dem Krieg macht auch vor den Kinderzimmern nicht halt. Die Zeiten, da das von Eltern und Pädagogen als aggressionsfördernd verpönte Kriegsspielzeug weitgehend aus den Sortimenten von Herstellern und Händlern verschwunden war, sind offensichtlich vorbei. Jedenfalls rückten auf der 42. Internationalen Spielwarenmesse in Nürnberg Soldatenpuppen, Plastik-Maschinengewehre, Modell-Panzer und Computer-War-Games in die vordersten Reihen zahlreicher Aussteller-Vitrinen. Zwar macht Kriegsspielzeug nach wie vor nur einen winzigen Teil der über 300.000 in Nürnberg präsentierten Artikel aus. Doch das Spiel mit dem Krieg scheint wieder salonfähig.

Schon im Sandkasten wird wieder aufgerüstet. Panzerschlachten, Bombardierungen und Straßenkämpfe sollen nach dem Willen zahlreicher, vor allem aus Fernost stammender Hersteller schon die Kleinsten begeistern. Da gibt es Flugzeugträger aus Plastik, die auf Knopfdruck Sirenengeheul oder Maschinengewehrfeuer ertönen lassen, Kampfhubschrauber zum Aufziehen und Anziehpuppen in Uniform. Vier- bis Neunjährige möchte ein englischer Hersteller laut Packungsaufschrift mit seiner „Tail Cannon“ ansprechen. Die detailreich im Plastikguß hergestellte Waffe simuliert Schußgeräusche und das Leuchten des Gewehrfeuers. Überraschungsattacken im Kinderzimmer ermöglichen auch etwa 30 Zentimeter große, vollbewegliche Soldatenpuppen, die batteriebetrieben über den Teppich robben.

Eine regelrechte Offensive haben die Hersteller von Modellen und Bausätzen gestartet. Unter dem Titel „Operation Desert Storm“ bietet beispielsweise ein italienischer Hersteller einen Bausatz für vier US-Soldaten im Wüsteneinsatz an. Auch ein deutscher Produzent hat rasch reagiert und zur „Operation Desert Shield“ Panzer- und einen „Airborne“-Soldaten auf den Markt gebracht. Das Drama des Golfkrieges — alle eingesetzten Flugzeuge und Panzer sind selbstverständlich en miniature verfügbar — kann auch mit maßstabgetreuen Zinnfiguren-GI's mit Gasmaske oder einem „Flugabwehr-Waffen-Set“ wirklichkeitsnah ergänzt werden.

Zuwachsraten durchs Kriegsspiel erhoffen sich offensichtlich auch die Hersteller von Computerspielen. Vor allem für den Bereich der Tele- Spiele im Taschenformat liefern Luftschlachten und Bombenhagel wieder zunehmend die Spielideen. Da muß dann beispielsweise der Spieler im Kampf gegen die Zeit zum Kontrollcenter eines feindlichen Machthabers vordringen, um die Welt vor atomarer Vernichtung zu bewahren oder 64 gekidnappte Diplomaten aus unbekanntem und gefährlichem Gebiet befreien. Simulationsspiele schließlich vermitteln die „perfekte Illusion“, so ein Hersteller, daß der Spieler vom Cockpit eines Hubschraubers oder Düsenjägers aus am Krieg teilnimmt. Solche Gerätschaften sind derzeit auch auf der Spielwarenmesse im französischen Pinteville der Renner.

Übrigens bescherte die Angst vor Terroranschlägen der Messe einen Besucherrückgang. Am Donnerstag, dem ersten Öffnungstag, wurden von der Messegesellschaft 20.839 Fachbesucher registriert, 6,8 Prozent weniger als im Vorjahr. Ausgeblieben sind vor allem ausländische Gäste. Hier gab es einen Rückgang um 8,5 Prozent.

Dabei meldet die Branche seit der Maueröffnung wieder Zuwachsraten, die über dem allgemeinen Durchschnitt der Wirtschaft liegen. Um rund zehn Prozent ist der Umsatz im letzten Jahr gestiegen; von den zwei Milliarden DM, die die Hersteller eingenommen haben, entfielen etwa 350 Millionen auf die ostdeutschen Firmen. Etwas über die Hälfte der 2.050 Aussteller aus 45 Ländern kommen aus der Bundesrepublik, darunter 80 der 107 in den fünf neuen Ländern registrierten Spielzeughersteller. Für sie beantragte die Messegesellschaft in Bonn gleich selbst die Zuschüsse für die Standmieten. Seit Monaten ausgebucht, mußten auch in diesem Jahr in Nürnberg wieder einige Hersteller auf andere Gebäude ausweichen. Dem Mißstand soll endlich 1992 abgeholfen sein, wenn eine zusätzliche Halle fertiggestellt ist.

Besondere Ironie: Ostdeutsche Spielzeughändler berichteten auf der Messe, daß in der Weihnachtsszeit das erzkapitalistische Spiel „Monopoly“ der absolute Renner gewesen sei. Dessen Hersteller, Tonka Toys in den USA, wurde gestern an den größten US-Spielwarenkonzern Hasbro verkauft. Der Grund für die Pleite: Überschuldung.

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