Apartheid fällt — weiße Herrschaft bleibt

Südafrikas Präsident kündigt Abschaffung wichtiger Apartheidgesetze an, lehnt verfassunggebende Versammlung jedoch weiter ab/ Unwillige Weiße dürfen „eigenes Gemeinschaftsleben“ behalten/ Proteststreiks und ANC-Demonstrationen  ■ Aus Kapstadt Hans Brandt

Südafrikas Präsident Frederick de Klerk hat die bevorstehende Abschaffung der wichtigsten noch gültigen Apartheidgesetze angekündigt, darunter diskriminierende Landgesetze, Rassentrennung in Wohngebieten und die Rassenklassifizierung aller Südafrikaner. „Sollte das Parlament die Vorschläge der Regierung akzeptieren, dann würde das südafrikanische Gesetzbuch innerhalb weniger Monate frei sein von allen Überbleibseln diskiminierender Maßnahmen, die als die Säulen der Apartheid bekannt waren“, sagte de Klerk zur Eröffnung des Parlaments in Kapstadt.

Außerdem kündigte de Klerk Gesetzesvorhaben an, die auf freiwilliger Basis zu gemeinsamen Lokalverwaltungen von Schwarzen und Weißen führen können. Und er legte ein „Manifest für ein neues Südafrika“ vor, in dem „gemeinsame Werte und Ideale“ aller Südafrikaner enthalten sein sollen. Das Manifest solle „ein Ausgangspunkt für die Suche nach einem nationalen Konsens“ sein.

Während der Präsident sprach, marschierten etwa 10.000 Unterstützer des Afrikanischen Nationalkongresses (ANC) und des Panafrikanistischen Kongresses (PAC) durch das Zentrum von Kapstadt, um gegen das „rassistische Parlament“, in dem nach wie vor keine Schwarzen vertreten sind, zu demonstrieren. Sie forderten freie Wahlen für eine verfassunggebene Versammlung, um eine demokratische Verfassung für Südafrika auszuarbeiten, und die Einsetzung einer Interimsregierung für die Zeit bis zu einer neuen Verfassungsordnung in Südafrika. Ähnliche Proteste fanden in Dutzenden von anderen Städten statt. In der Region um Johannesburg wurde ein Protestaufruf zu einem Generalstreik fast 100prozentig befolgt.

„Dieses muß das letzte Mal sein, daß das rassistische Parlament zusammentritt“, sagte Walter Sisulu, der interne Führer des ANC. Die Abschaffung rassistischer Gesetze sei nicht genug. „Es muß sinnvolle Maßnahmen geben, die den Schaden, den diese Gesetze angerichtet haben, beheben.“

Proteste kamen auch von der ultrarechten Konservativen Partei (CP), die für die Aufrechterhaltung der Apartheid kämpft. Sämtliche Abgeordnete der Partei verließen im Laufe von de Klerks Rede unter Protest das Parlament.

Außenminister Pik Botha meinte vor der Presse, die angekündigten Maßnahmen erfüllten alle von den USA und der EG gestellten Vorbedingungen für die Aufhebung von Sanktionen: „Der Punkt der Unumkehrbarkeit ist erreicht“, sagte er.

Größte Überraschung in der Rede des Präsidenten war die Ankündigung der Abschaffung der Rassenklassifizierung („Population Registration Act“). Nach Regierungsauffassung bildet dieses Gesetz die technische Grundlage für die derzeitige südafrikanische Verfassung, da diese separate Strukturen für verschiedene Rassen vorsieht. Verfassungsminister Gerrit Viljön erklärte jedoch, daß das Gesetz zwar abgeschafft, das bestehende Bevölkerungsregister jedoch beibehalten werde. Effektiv bedeutet dies, daß Neugeborene nicht mehr rassisch klassifiziert werden, während erwachsene Wähler nach wie vor nach Rassen zu unterscheiden sind.

De Klerk betonte, die geplante Freigabe von Wohngebieten für alle Rassen bedeute kein absolutes Ende eines „eigenen Gemeinschaftslebens“. Die Regierung wolle weiterhin „Gemeinschaftsrechte für diejenigen, die dies wünschen“, absichern. Damit ist allgemein der Wunsch vieler Weißer, vor allem Buren, gemeint, Schulen, Wohngebiete und öffentliche Einrichtungen nicht mit Schwarzen teilen zu müssen. De Klerk sagte jedoch, daß ein solches „eigenes Gemeinschaftsleben nicht durch gesetzlichen Zwang“ erreicht werden könne.

Die Forderung des ANC nach einer verfassunggebenden Versammlung und einer Interimsregierung lehnte de Klerk strikt ab. „Der Gedanke, daß die derzeitige, legal konstituierte Regierung ihre Macht abgibt und ihre Verantwortungen an irgendein vorübergehendes Regime abtritt, kann von einem unabhängigen Staat nicht in Erwägung gezogen werden“, sagte er.