: Memoiren eines betagten Kindes
■ Die Jugenderinnerungen der Franca Magnani
Franca Magnani war dreiundzwanzig Jahre lang Auslandskorrespondentin der Tagesschau, bis sie 1987 von ihrem Arbeitgeber, dem Bayerischen Rundfunk, gefeuert wurde. Die Zeit der erzwungenen Muße hat sie genutzt, um die Geschichte der Emigration ihrer Familie während des italienischen Faschismus aufzuschreiben. Wer einmal im Fernsehen verfolgen konnte, wie die Magnani mit Verve und Humor die Ereignisse in Italien kommentierte und sich damit wohltuend von den anderen Langweilern unterschied, durfte also mit gutem Grund ein aufschlußreiches, unterhaltsames Buch erwarten. Um es vorweg zu sagen: Eine italienische Familie erfüllt diese Erwartungen nicht; vielmehr stellt sich während der Lektüre Enttäuschung und Langeweile ein, auch Verwunderung über die emphatischen Besprechungen in den Feuilletons der großen Zeitungen.
Bei den zahlreichen Autobiographien aus der Zeit des Exils kann man grundsätzlich zwei Varianten der Selbstdarstellung beobachten: Die eine will beweisen, welche berühmten Personen den Verfasser als ihren engsten Freund und Vertrauten betrachtet haben, und die andere ist der mehr oder weniger gelungene Versuch, das beschriebene Leben zum Brennspiegel einer historischen Situation zu machen. Vor Narzißmus und Selbstüberschätzung ist keine von beiden geschützt, und deren Abwesenheit in Franca Magnanis Bericht fällt zunächst angenehm auf, bis es einem dämmert, daß sie eine dritte, mir bisher unbekannte Möglichkeit gewählt hat: die Schilderung der Exilzeit aus der Sicht eines kleinen Mädchens und das unerbittliche Festhalten an dieser Perspektive bis zum Ende des Buches. Seltsam flach und leblos erscheinen die Politiker und Schriftsteller, denen sie begegnet ist. Was spannend sein könnte oder einer Erklärung bedurft hätte — die Geschichte des italienischen Widerstands aus dem Exil ist hier ja noch weitgehend unbekannt —, wird zum bloßen Erzählen und Aufzählen, bleibt Familiengeschichte. Seltene Passagen über die Auswirkungen des Faschismus in Deutschland und Italien werden schon im Ansatz von der Beschreibung von Ereignissen wie dem Sommerurlaub der Schwestern Franca und Annarella in Italien beendet. Dabei stand Magnanis Vater Fernando Schiavetti im Zentrum einer Bewegung, die in der Schweiz italienische Exilanten in Kooperativen, Diskussionsgruppen und freien Schulen zu organisieren versuchte und Mussolinis Sturz 1943 als Chance eines Neubeginns mit sozialistischen Präferenzen in Italien begriff. Es war eine Zeit des Aufbruchs und der Unsicherheit, bei Magnani aber verfolgen wir lediglich den Alltag einer Familie, die zwar durch ihre politischen Aktionen und ihren Exilantenstatus diverse Probleme in der Schweiz hatte, sich aber ansonsten von anderen Familien nicht wesentlich unterschied. Alles ganz normal, vielleicht auch understatement, das dem Buch wenig nutzt.
Francas Eltern mußten 1926 aus dem faschistischen Italien flüchten und ihre einjährige Tochter bei den Großeltern zurücklassen. Erst 1928 gelang es ihnen, das Kind nach Frankreich zu holen. Als die Situation in Marseille unhaltbar wurde, siedelte die Familie in die deutschsprachige Schweiz über. Daß die Schweiz ein ordentliches, reglementiertes Land ist und daß sich eine vitale italienische Emigrantenfamilie an der Sturheit seiner Bewohner des öfteren die Zähne ausbeißen kann, ist nur eine von vielen Pfefferkuchenweisheiten, die dem Leser präsentiert werden. Man könnte sich das Nachlesen solcher Platitüden auch schenken, wenn man nicht gegen jede Vernunft darauf hoffen würde, in Magnanis Buch mehr als nur die verwischten Spuren der „zwei großen Bewegungen unserer Zeit: Faschismus und Stalinismus“ (Magnani in einem Interview) zu entdecken. Die Autobiographie endet in den fünfziger Jahren, als nach dem Tod der Mutter und dem XX. Parteitag der KPdSU Stalins Gewalttaten bekannt wurden: Anlaß zur Versöhnung zwischen Vater und Schwiegersohn. Aldo Magnani, Abgeordneter der PCI und Francas zweiter Ehemann, hatte sich nämlich schon 1951 von seiner Partei getrennt und sich mit der Familie Schiavetti überworfen, nachdem die ersten Nachrichten über die stalinistische Säuberungswelle in Italien durchgesickert waren. Auch eine dezidierte Beschreibung der Reaktionen auf seinen spektakulären Parteiaustritt und der polarisierten politischen Situation zur Zeit des Kalten Krieges hätte den Leser interessieren können; sie geht aber in Familienstreitigkeiten unter.
Mannaggia! möchte man da ausrufen, wenn man zu der Erkenntnis gelangt, daß es gereicht hätte, den Klappentext zu lesen, um über Francas Familie Bescheid zu wissen. Die zahlreichen Fotos aus dem Familienalbum können nicht darüber hinwegtäuschen, daß uns die abgebildeten Personen — wie beispielsweise Ignazio Silone — lediglich als nette Onkel und Tanten begegnet sind. Elke Schubert
Franca Magnani, Eine italienische Familie . Kiepenheuer u. Witsch, geb., 38 DM.
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