Die Fesselung der Kuh durch den Kamin

■ oder Ein ganz normaler Wahnsinn

Foto: Adelheid Beyer

Die Mixtur der Veranstaltung ist leicht und schwerelos, unverdünnt und hochprozentig. Dabei kommt die Story überaus simpel daher: ein gut genährtes Ehepaar streitet sich in eingefleischter Manier einmal mehr um das Vorrecht, den schwereren Teil der tagtäglichen Verrichtungen übernommen zu haben. Hausarbeit und Mähen der Wiese geraten so in den überanstrengten Vergleich.

Folge und Inhalt des knapp gehaltenen Einakters von Sean O'Casey: Der Rollentausch. Und während wir die Hausfrau auf der Wiese wähnen dürfen, offenbart sich vor uns am heimatlichen Herd ein Fiasko seltenen Ausmaßes. Ein Beweis der trüben Fähigkeit des Mannes in Sachen Hausarbeit, ein Beweis, der gleich doppelt geführt wird, denn der dicke raunzende und oberfaule Ehemann Derry wird (wahrlich) heimgesucht von seinem reichlich stockfuchtelnden (!) Freund Barry — einer leibhaftigen Inkarnation an Kurzsichtigkeit im schlagenden Sinne.

Auch dem Sanftmütigsten schwant hier bald, daß der Anfang vom Ende vorgezeichnet vorgezeichnet ist; allein, es gilt zwei Stunden durchzustehen, bis das tatsächliche Ende vom Anfang besiegelt ist — zwei Stunden perfekter Clownerie, wie sie nur das Komikerduo Heinz Kraehkamp und Michael Altmann (»Hartmann und Braun«, »Kiebich und Dutz«) zustande bringen. Wenn es denn stimmt, daß im Extremen das Exemplarische aufscheint: Exemplarischer als hier kann's wohl kaum mehr zugehen.

Die scherbenreiche Abfolge der Unfälle, Zusammenbrüche, Versehen und Verwechslungen auf der Bühne quälen den Lachmuskel im Parkett. Man sollte gewarnt sein: ein langsamer, im Grunde sadistischer Prozeß wird hier zelebriert, ein Arsenal sich allmählich auftürmender Wahnsinnstaten und Gemeinheiten abgefeuert. Selten hat man sich zur Tatenlosigkeit so verdammt gefühlt und der Lachkrampf schießt einem unerbittlich in den Bauch. Ein Vorgang, der sich kaum erklären läßt, nur beschreiben; etwa mit dem gnadenlosen und lustvollen Aufziehen eines Reiseweckers, dessen nahendes Ende schon bei der ersten der unzählig folgenden Umdrehungen ahnbar ist. Doch die strahlende Unschuld des eifrig tätigen Derry scheint bar jeder Zerstörungswut, und die langsame Logik der Katastrophe bannt und foltert allein uns; und wenn die Feder dann reißt, die Tasse zerspringt, das Feuer ausbricht, wird uns eine schrecklichschöne Befreiung zuteil.

Seit der tiefe Blick in den heimtückisch abgezwackten Gartenschlauch mit einem plötzlichen Wasserschwall beantwortet wird, seit Teller und Tassen mutwillig auf Tischkanten balanciert werden, bis sie kippen, seitdem gehört klammheimliche Schadenfreude zum Inventar herzerfrischender Komik. Kraehkamp und Altmann bauen diese Regung zum handfesten Anarchismus aus. Blitzartig wandelt sich täppische Einfalt in böse Gewitztheit.

Der schier unlösbaren Überaufgabe ausgesetzt, Ordnung zu schaffen, wo jeder Handgriff neue Unordnung auslöst, feiert Mutwille und Hartnäckigkeit kleine hämische Erfolge auf Kosten des Anderen und der Dinge. Hin und her geworfen zwischen Mitleid und Schadenfreude geht jedes Maß verloren — sowohl auf der Bühne als auch im Parkett. Nur so ist vorstellbar, daß eine Akrobatiknummer auf schwankenden Tischen und Stühlen als Versuch, eine Glühbirne auszuwechseln, zur existentiellen Tat auswächst. Und schließlich, welche andere Möglichkeit gibt es, die im Freien herumstreunende Kuh vor dem tödlichen Absturz ins Tal zu bewahren, als einen Strick umständehalber durch dem Kamin zu ziehen, um so die Kuh mit dem alten Ohrensessel zu vertäuen: wann immer der Sessel nun durchs Zimmer rutscht, wissen wir die Kuh in Gefahr. Wer, frage ich, wüßte da eine bessere Lösung? Im Saal, zu diesem Zeitpunkt, gewiß keiner mehr.

Ob bei der Morgengymnastik, beim Abwaschen oder Feuermachen — das Aberwitzige schleicht sich auf leisen kleinen Sohlen herein und vergrößert seine Schrittweite unmerklich, aber ohne Unterlaß. Am Ende dann: das krude Abbild des Wahnsinns — des normalen freilich. Um darüber wehmütig zu werden, bleibt während der Vorstellung keine Zeit. Quälender Mißmut wird andernorts gesät; hier wird er bekämpft. baal

»Das Ende vom Anfang« nicht etwa heute sondern am Sonntag um 20Uhr in der Volksbühne.