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Wollen angezogene Frauen mit nackten Männern tanzen?

■ Ein Abend im real existierenden Feminismus: Männerstriptease bei der »Erotic Lady's Night«, der »ersten erotischen Abendgestaltung für Frauen, die Männer gerne mögen«

Das Problem, die Marktlücke: Bisher hatten die Männer das Geld und damit auch die Macht, sich von Frauen amüsieren zu lassen. Und obwohl sich immerhin die finanziellen Verhältnisse zwischen den Geschlechtern mittlerweile gewandelt haben, gab es bislang keine Nachtclubs, wo Frauen sich von Männern hätten bedienen lassen können. Die Lösung, die Geschäftsidee: Frauen mit Mäusen lassen Männer springen, singen, tanzen, strippen. Allerdings erweist sich der vordergründig erstrebenswerte Rollentausch in der Erotik-Dienstleistung zumindest bei der Realveranstaltung im Restaurant im Grunewaldturm hinsichtlich des Emanzo-Amüsements leider als Flop.

Von Gabriele Riedle

Damit es erst gar nicht zu schrecklichen, nicht wieder gutzumachenden Mißverständnissen kommt, stellt die Moderatorin und Veranstalterin des Abends, Gaby Barton, gleich zu Beginn eines klar: »Obwohl Weiberfastnacht ist, wird hier heute den anwesenden Männern gar nichts abgeschnitten. Dazu haben wir sie wohl alle viel zu gern.« Ein deutliches und uneingeschränktes Bekenntnis zum Mann für alle Fälle. Weniger wegen der anwesenden Begleitherren, die wohl sowieso nie ernsthaft um ihre Unversehrheit gefürchtet haben dürften, schon eher wird die rituelle Gewissensreinwaschung den Frauen noch einmal ihre eigene heere Absicht aufs angenehmste in Erinnerung gebracht haben: Sie sind hier, um sich mit und über Männer zu amüsieren. In aller Unschuld. Täterinnen wollen sie darum nicht werden müssen. Wenn's geht. Pazifizierter Feminismus. Keine Gewalt! Wir sind die Hälfte des Publikums!

Was ist geschehen? Es ist Donnerstag, der 7. Februar 1991. Im Jahre 23 nach der sexuellen Revolution sitzen deren Töchter (35-45) mit weißen Spitzenblusen, cremefarbenen pailletenbesetzten Mohairpullovern, kessen Stiefelchen, großen Brillen, wohlfrisiert und frisch onduliert in der Ausflugsgaststätte im Grunewaldturm mitten im Erholungsgebiet gleichen Namens und warten, bis sich bezahlte junge Männer für sie ausziehen. UV-Licht und Palmen in alufolieüberzogenen Töpfen sorgen für die ortlose Atmoshäre von Hotelbars zwischen Havanna und El Arenal. Einige Frauen haben sich von »Muschka, dem bekannten Berliner Schminkkünstler« vor Ort ein kühnes Gemälde ins Gesicht praktizieren lassen. Auch einige wenige Männer haben diesen Extraservice genutzt — auf Hemd und Krawattenhals steckt nun ein kunterbunter Kopf. Doch die Männer sind diesmal nur »mitgekommen«, alleine wären sie unerwünscht — Frau mit Freundin sieht die Veranstalterin lieber. Denn »Lady's Erotic Night ist ein Abend, der ganz der Frau als Gast verpflichtet ist«, während sich sonst erotische Veranstaltungen traditionell an den Mann wendeten.

Zum vierten Mal seit Ende Dezember präsentiert die Film- und Theaterwissenschaftlerin Gaby Barton (36) dieses Ergebnis ihrer Teilnahme an einem Kurs für »Weiterbildung für potentielle Existenzgründerinnen« beim Frauenbildungswerk »Gründungsrausch«. Sie liege damit gleich mehrfach im emanzipatorischen Trend. Erstens, weil sie sich als Frau alleine selbständig macht. Zweitens, was die Tendenz betrifft, auch den Mann als Lustobjekt zu begreifen, was man in der Werbung schon seit längerer Zeit wiederfinden könne. Barton macht sogar gleich eine ganz neue zweite Sexwelle aus, die »Freizügiges auch im Fernsehen erlaubt«, die die Frauen auch Sex-Shops betreten ließe, die Callboys und Sexfilme für Frauen ins mediale Interesse rücke. Und schließlich liege sie auch im Trend des gesteigerten Bedürfnisses nach Luxus und leichter Unterhaltung, das sich neuerdings in der »Erlebnisgastronomie« wiederspiegelt. Zielpublikum seien — bei dem stolzen Eintrittspreis von 50 DM — hauptsächlich berufstätige Singles, die einiges Geld für Kleidung und Essen ausgeben, flottere Frauenzeitschriften lesen und ein gehobenes Körperbewußtsein haben, was sich zum Beispiel im Besuch von Fitness-Studios manifestiere.

Das befreite Bürgerinnentum kann solche Unterhaltung erwarten, die »niveauvoll« genannt wird: Diesmal ist es das »Mittelalter«, das die thematische Kneifzange um Abend und Kellnerbeine bildet. Letztere müssen sich in breit-längsgestreifte und dennoch nicht figurvorteilhafte Radlerhosen (unten) und Sammetkappen (oben) knappenhalber werfen. Später am Abend drohen sie — quasi auf der Laiendarbietungsschiene —, Hemd und Radlermodell auch noch abzuwerfen und die volle Schönheit von Bauch und Badebuxe in Tangaformat zu präsentieren, denn »hier strippen sogar die Kellner«. Erster lauter, verzweifelter Johlerfolg. Würden Sie bei einem Mann — zum Beispiel bei unserem »SpitzenSuperstar-Kellner Karsten« — dessen Wampe Sie soeben von Herzen ausgelacht haben, gerne gleich noch einen weiteren Cocktail bestellen? He, Kellner, noch einen ,Zombie‘ bitte! Das bringen doch nicht mal Sie, liebe Leserin, über die gehässigen Lippen! Da sitzen Sie doch lieber trocken am Tisch und grübeln ein wenig darüber, warum das Frontal-Amüsement auf Kosten Anwesender nur im Salambo-Big- Eden-Tutti-Frutti-Schwiegermutter-Witz funktioniert.

Oder was sagen Sie, wenn Sie sich hinsetzen, etwas bläst Ihnen in den Nacken und Sie erschrecken sich zu Tode. Da drehen Sie sich zornig um, und aus einer reichgefiederten schwarzen Maske haucht es Ihnen männlich-sammetstimmig entgegen: »Iiisch bin nurrr eine Katze.« Solchermaßen informiert — ja, da sind Sie einfach platt und blöd in Ihrem Ärger. Später wird Sie Gaby Barton moderierend darüber aufklären, daß die Katze schon immer Symbol der Weiblichkeit war und sinnlich erregte Menschen von wilden Tieren träumen. Sie nicht?

Doch weiter im Mittelalterprogramm: Hier sehen wir zwo Mönche mit braunen Kutten, aus denen ansehnliche Schenkel sowie schwarze Nietentangas hervorblitzen. Zur Musik von »Enigma« kasteien sie sich sehr und kriechen auch auf dem Boden entlang. Und schon naht der nächste Stripper: Knappersmann oder Ritt? Mit Samtkniebundhöselchen, artigem schwarz-roten Wämslein, weißen Kniestrümpfen und purpurner Samtmütze. Nach einigen Arabesken und verlorenen Luftsprüngen im Nurejew-Style entfernt er rasch und hektisch seinen Wams. Da steht er mit der an Schnüren festgezurrten Rüschchenhemdbrust. Eine Frau wird gedungen, ihm die zarten Fesseln zu lösen. Föhnfrisur im roten Gegenlicht. Zur Belohnung drückt er ihr kurz den verpackten Dödel rückseits an den Overknee- Ringelpulli. Jetzt fällt auch der Hut, die Knappenkapp. Wollsocken runter. Hose schnell aus: hervor kommt das kleine Schwarz-Weiß-Gestreifte. Und wenn auch diese Hülle fällt, bleibt nur noch die gute blütenweiße Schießer, das Ziel aller Damenblicke. Oder?

Und so weiter und so weiter. Folgen noch mehrere mehr oder weniger gekonnte Stripnummern, diverse Gesangseinlagen und verschiedene Verbalaufklärungen darüber, daß »Leder unverkennbar animalisch« sei und auch Stoffe erotisch sein könnten. Zum Show-Down schließlich wollen alle mehr oder weniger nackten, gefiederten, geschmückten, genieteten Männer gleichzeitig, daß die Frauen mit ihnen Lambada tanzen wollen. Wiederhole: Die Männer wollen, daß die Frauen mit ihnen tanzen wollen. Denn das ist offenbar das zwangsläufige Dilemma solcher Veranstaltungskonstruktionen, das dieser Abend gezeigt hat.

Warum also wollen angezogene Frauen nicht mit nackten Männern tanzen? Meine vorläufige Hypothese wäre diese: Zur öffentlichen und unterhaltungsgewerblichen Präsentation eines nackten Körpers gehört, daß er sich in diesem Moment als überaus schön bzw. begehrenswert darstellt. Schöner, als derjenige des Zuschauers, sonst würde der in Aussicht gestellte Besitz dieses Körpers kein Zugewinn für den Zuschauer bedeuten. Damit die behauptete Schönheit den potentiellen Besitzer aber nicht erschlägt und in seiner eigenen Eitelkeit verletzt, muß das Objekt gleichzeitig gedemütigt werden. Zum Beispiel durch blöde Sprüche und schlüpfrige Witze von Conferenciers und Moderatoren. Dieses Wechselspiel von Beschönigung und Demütigung scheint aber nur im Verhältnis von Männern als Käufern zu Frauen als präsentierter Ware zu gelten. Die Lust an der Demütigung scheint den Frauen — aus welchen Gründen auch immer — gegenüber den strippenden Männern zu fehlen. Das aber macht diese Männer so uninteressant. Die eitlen schönen Säcke mit ihren knackigen Ärschen bleiben immer eitle schöne Säcke mit knackigen Ärschen. Sie tanzen vor dem Frauenblick wie vor einem Spiegel — der Frauenblick verändert sie nicht, sie bleiben für sich. Schön, ganz, unverletzt und unzugänglich. Diese Körper müßte frau einfach nur bewundern. Aber warum sollte sie?

Was also das Thema öffentliche Erotik und Unterhaltung jenseits der komplexen privaten Liebesverhältnisse betrifft, scheint die Lage doch relativ eindeutig: Bevor ich einem von mir bezahlten Hahn die Gelegenheit gebe »Bin ich gut?!!« zu krähen, nehme ich mir doch lieber meine gute alte Migräne und investiere in einen neuen Fernseher. Der belästigt mich nicht mit Bewunderungsbedürfnissen. Schließlich steht im öffentlichen Geschlechterkampf offenbar sein Autismus immer noch gegen meinen Autismus. Aber was geht mich seiner an?!

Die nächste »Erotic Lady's Night« findet am 2. März ab 20.30 Uhr im Restaurant im Grunewaldturm an der Havelchaussee statt.

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