: Berliner Allerley
■ Die Musik-Biennale in neuem Gewand
Die »musik-biennale berlin« war das Ereignis der DDR auf dem Sektor der zeitgenössischen Musik, worunter man allerdings ganz etwas anderes verstand als im dekadenten Westen, dem ja schon der Begriff »Neue Musik« längst zu altbacken ist. Nein, mit der Frische der Aufbruchstimmung nahm man die Sache ganz wörtlich und zeitgenössische Musik war somit jedes Klangerzeugnis, das von einem Zeitgenossen, d.h. noch lebenden Musikschaffenden fabriziert wurde. Und da Kultur den Interessen der sozialistischen Gesellschaft dienen sollte, hatten die Programme ähnliche Aufgaben wie der Breitensport — nur eben auf einem anderen Spielfeld.
Daß dieses »internationale fest für zeitgenössische musik« trotz des großen Kulturbankrotts zum dreizehnten Mal stattfinden kann, ist immerhin erstaunlich; ein Sonderscheck aus Bonn und die Adoption durch die Berliner Festspiele GmbH haben es möglich gemacht.
Jetzt schreibt sich das Festival in progressiven Kleinbuchstaben, hat ideologischen Ballast abgeworfen und westliche Gewohnheiten angenommen. Es fehlt die legendäre Blaskapelle der Nationalen Volksarmee, der Chor der Jungen Pioniere, es fehlt die Kantate zum Lob des Fünfjahresplan und der symphonische Solidaritätsgruß an die Arbeiter und Bauern in der befreiten Welt. Stattdessen finden Multi-Media-Spektakel, Live- Elektronik und instrumentelles Theater zaghaft Einzug in das Programm. Geblieben ist die Vorliebe für die »Klassiker der Moderne« und die Orientierung am Sortiment der DDR- Ästhetik. Geblieben ist die Neigung zum Orchestralen, zu den traditionellen Klangkörpern, zum Bewährten und Gewünschten.
Ein Schwerpunkt fehlt dem Programm, aber in den zehn Tagen (zwischen 14. und 24. Februar) gruppieren sich einige Konzerte zu unterschiedlichen Themen, die manchem Faible mancherlei bieten. Allerley Kurzweyl für jeglichen Geschmack.
Da ist das »Klangprojekt II«, eine Kombination von Klanginstallation und Simultanaufführungen mit dem Spektakelfaktor vierKommafünf. Fünf Klangprojekte sind unter der Schirmherrschaft von Dieter Schnebel im Haus der jungen Talente (am 21. 2.) zusammengeführt. Er selbst hat die »Gehörgänge« erdacht: Jedes Haus hat seine Geräusche, hervorgebracht durch all die Leitungen und Rohre die grunzen und furzen, die brummende Heizung, die ratternden Jalousien. Gehörgänger werden also vermutlich das Haus durchwandeln, die Ohren an die Wand legen und lauschen und ausrufen: »Das Haus lebt!« Andere Klangbastler kümmern sich um Rauminstallationen, Environments, Schlagwerkzeuge, Saxophone, Cassettenrecorder und was der Lärmtöner weitere sind.
Der Standardtip für Freunde der tiefgründigen russischen Seele — denen Mussorgskij nicht zu finster und Prokofjew nicht zu modern klingt — lautet nach wie vor: Dmitri Schostakowitsch. Seine 6. Symphonie in der Pathos-Tonart h-moll trägt ein so hohes Maß an herzzerreissender Schwermut in sich, wie sonst nur noch die Partituren seiner Nachfolgerinnen Elena Firsowa und der hymnisch-schwärmerischen Sofia Gubaidulina (am 16.2.). Die ironisch gebrochene Variante dieser schwerblütigen Tradition in Kammermusikbesetzung wird (am 24.2.) u.a. von Edison Denissow und Alfred Schnittke vom Bolschoi-Ensemble Moskau geboten. Eine noch kleinere Besetzung (am 22.2) — Klavier und Bratsche (dieses Instrument gehört unbedingt zur elegischen Grundausstattung) —, featured die bisher wenig beachtete Galina Ustwolskaja aus Leningrad, deren aggressiver Stil mitunter zur Gewalttätigkeit neigt.
Nicht ganz frisch, aber immer wieder gern gehört, ist das Thema »Berlin und seine 20er Jahre«, diesmal mit Songs von Weill und Wolpe, Märsche von Eisler (mit viel Klavier am 17.2.) und DADAdereien von Schwitters (mit viel Stimme am 19.2.) und anderen.
Ein Meister aus der Zunft der Hochleistungspianisten, Herbert Henck, bringt am 21.2. zwei Uraufführungen zur Welt. Steffen Schleiermacher findet in seinem »Klavierstück« Gefallen an den Techniken der Minimal Music (mittlerweile in der 3. Generation): endlos wiederholte Spielfiguren in gleichförmigem Rhythmus, von den Gegnern einst als »Fließbandarbeit« verspottet, von den Befürwortern als Mittel der meditativen Selbstüberwindung verteidigt. Ganz anders dagegen klingt Mayako Kubo's »Berlinisches Tagebuch«, in dem sie Personen und Ereignisse der jüngeren Zeit hinter Chiffren versteckt. Intimes und Politisches vermischen sich, aber Einzelheiten bleiben verborgen, wichtig ist allein die Art und Weise, in der mit dem Klavier erzählt wird. Zum Schluß dann ein Monstrum von Klavierwerk, die »Piano Sonata No. 2« von Charles Ives, die viel gespielt, aber selten bewältigt wird. Eigentlich sollte es ein Klavierkonzert werden und daher ist ein enorm wuchtiger Klavierpart übriggeblieben als das Stück auf das Solo-Instrument zusammengekocht wurde. Eine Herausforderung für den Pianisten, aber dennoch kein sportliches Ereignis, wo Virtuosität beim Hindernisrennen durch die schwarzgesprengelten Notenblätter zur Schau gestellt würde.
Zudem gibt es einige Gelegenheiten die Ästhetik der DDR-Komponisten kennenzulernen. Georg Katzer, Lothar Voigtländer, Paul-Heinz Dittrich, Friedrich Schenker und Friedrich Goldmann sind die Namen, denen sich Klänge zuordnen lassen, wenn man die Tagestips studiert, die Konzerte aufsucht, hört und staunt. Frank Hilberg
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