Schwarze Zahlen mit den roten Chinesen

Die bundesdeutsche Industrie investiert wieder fleißig in der Volksrepublik/ Wirtschaftssanktionen für das Massaker auf dem Tiananmen sind praktisch aufgehoben/ Hermes-Bürgschaften minimieren das Risiko/ Automobilbauer investieren als erste  ■ Aus Peking Tony Wang

Peking ist wieder salonfähig. Die Wirtschaftssanktionen, die viele Staaten nach dem Massaker auf dem Platz des Himmlischen Friedens am 4. Juni 1989 gegen China verhängt hatten, sind inzwischen größtenteils wieder aufgehoben; auch in den deutsch-chinesischen Wirtschaftsbeziehungen zeichnet sich seit ein paar Monaten ein deutlicher Aufwärtstrend ab.

Jüngstes Vorzeigeobjekt deutscher Investitionsbereitschaft und guten Willens zur Unterstützung der Pekinger „Öffnungspolitik“ ist die Joint-venture-Vereinbarung über den Aufbau eines Golf- und Jetta- Werkes im nordöstlichen Changchun, die am vergangenen Wochenende in Peking unterzeichnet wurde. In den dortigen Automobilwerken Nr. 1 wird nicht nur ein erheblicher Teil aller chinesischen Straßenfahrzeuge hergestellt, sondern auch der Audi 100, bislang allerdings in reiner Montage vorgelieferter Teile aus der Bundesrepupblik.

In das Gemeinschaftsprojekt, von der chinesischen Regierung als ein Schlüsselprojekt ihres seit Januar gültigen 8. Fünfjahresplanes eingestuft, sollen insgesamt 800 Millionen Dollar investiert werden. Der Vertrag mit einer Laufzeit von 25 Jahren sieht vor, daß 1994 zunächst 60.000 Golf und Jetta vom Band laufen. Später soll die Kapazität auf einem Areal von 116 Hektar auf jährlich 150.000 PKW, 270.000 Motoren und 180.000 Getriebe ausgeweitet werden.

In Peking wird die neugewonnene Kredit- und Salonfähigkeit durchaus bejubelt. Dabei blasen gerade der deutschen Wirtschaft die Willkommens-Fanfaren entgegen, ist doch Deutschland seit langem der wichtigste Partner der EG-Länder und von jeher heftig umworben. Nach dem Niederwalzen der Demokratiebewegung mit Panzern waren die Beziehungen zunächst allerdings deutlich abgekühlt. Während Egon Krenz im Sommer 1989 in Peking die Militäraktion der chinesischen Genossen begrüßte und Parteichef Jiang Zemin der „vollen Solidarität des deutschen Arbeiter- und Bauernstaates“ versicherte, verfügte die Bundesregierung weitgehende Einschränkungen der deutsch-chinesischen Zusammenarbeit.

Im Ergebnis wurden keine neuen Gemeinschaftsprojekte auf entwicklungspolitischem Gebiet begonnen und die Hermes-Bürgschaften für Exporte nach China ausgesetzt. Premier Li Peng und andere Spitzenfunktionäre hatten zu den Sanktionen der EG, der USA und Japans unisono erklärt, man werde sich nicht erpressen lassen — im übrigen sei der Boykott Chinas wirkungslos.

Gerade das war er wohl kaum: Der Absatz bundesdeutscher Erzeugnisse in den ersten drei Quartalen 1990 fiel gegenüber dem Vorjahr um 16 Prozent auf 2,6 Milliarden Mark. Zwar hat China im selben Zeitraum für 4,8 Milliarden Mark in die alten Bundesländer exportiert, doch kamen wichtige Gemeinschaftsunternehmen ins Stocken, wurden fest eingeplante Entwicklungsprojeke auf Eis gelegt und vereinbarte Kredite erst einmal storniert.

Milliardenverluste für China durch die Sanktionen

Angaben über die Verluste der chinesischen Wirtschaft durch die Sanktionen liegen nicht vor, doch dürfte es sich um Milliardenbeträge handeln. Zudem sind mit Beginn der 90er Jahre Zinsen und Tilgungen von Krediten in beträchtlicher Höhe fällig geworden, für die China dringend Devisen braucht.

Gründe genug also für die Pekinger Greise, sich um so emsiger um neues Vertrauen zu bemühen — allerdings ohne auch nur ein Zeichen zur Verbesserung der Menschenrechtssitutation zu setzen. Kein öffentlicher Auftritt der Staatsfunktionäre ohne die beschwörende Zusicherung, daß man an Reformen und Öffnungspolitik festhalten werde. Die halbe Parteiführung reiste durch die Wirtschaftssonderzonen — kapitalistische Exklaven nahe Hongkong und Taiwan — und versprach die weitere Verbesserung des Investitionsklimas.

Eine neue Investitions- und Wirtschaftszone Pudong bei Shanghai wurde aus der Taufe gehoben, und international bemühten sich Pekinger Abgesandte bei der Weltbank und der Asiatischen Entwicklunsbank um neue Kredite.

Nicht ohne Erfolg. Spätestens 1990 begann die Sanktionsfront zu bröckeln. Wenn nicht auf politischem Gebiet, so wurden doch die wirtschaftlichen Kontakte auf hoher Ebene wieder aufgenommen. Heinrich Weiß, Vorsitzender des Ostausschusses der deutschen Wirtschaft, reiste an der Spitze einer hochkarätigen Delegation an. Der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium, Siegfried Lengl, kam, und mehrere Bundesländer schickten Emissäre zum Sondieren.

Wer zur Auftragsvergabe zu spät kommt, den bestraft das Leben

Sie alle stießen auf reges Interesse an einer Wiederaufnahme der Wirtschaftsbeziehungen. Einige wollen sogar ausgemacht haben, daß sich chinesische Partei- und Staatsfunktionäre von dem Tiananmen-Blutbad distanzieren.

Und weil die Industrie ohnehin schon in den Startlöchern saß — wer bei der Vergabe von Aufträgen für den Fünfjahresplan zu spät kommt, den bestraft das Leben — und weil andere ohnehin weniger streng mit den Sanktionen umgegangen waren, ließ der Startschuß nicht auf sich warten: Ende Oktober 1990 sahen CDU/CSU und FDP in einem gemeinsamen Antrag im Bundestag „Voraussetzungen, um durch eine begrenzte und gezielte Ausweitung der gegenwärtigen deutsch-chinesischen Zusammenarbeit auch auf eine Verbesserung der Menschenrechtssituation in der Volksrepublik China und zur Unterstützung politischer Reformbestrebungen hinzuwirken“.

Im Ergebnis wurden die Hermes- Bürgschaften wieder freigegeben und Entwicklungsgelder wieder gezahlt. Damit sind auch Kredite an China wieder gesichert: beispielsweise 460 Millionen Mark für den Bau einer U-Bahn in Shanghai — an dem sich die AEG und Siemens beteiligen — oder 120 Millionen Mark für die Lastwagenproduktion in der Inneren Mongolei mit Daimler-Benz.

Die Handelsbilanz für das Rechnungsjahr 1990 liegt noch nicht vor, doch wird auf den traditionellen Feldern der Zusammenarbeit — Energie, Metallurgie und Präzisionsmaschinen — mit deutlichem Anziehen der Geschäftstätigkeiten gerechnet.

Besonders im Automobilbau. Denn das neue VW-Projekt ist nur das letzte Glied in der Kette VW- Shanghai und Audi-Changchun. Das von chinesischer Seite oft als Musterbeispiel hochgelobte Joint venture in Shanghai produzierte in den ersten fünf Jahren bis April 1990 über 72.000 Santana-Limousinen, davon 18.500 im letzten Jahr, 18,2 Prozent mehr als 1989.

Dr. Welker, stellvertretender Direktor des Unternemens, zeigte sich Ende Januar vor der deutschen Presse in Peking besonders zufrieden mit der wachsenden „Lokalisierung“ der Produktion — immer mehr Teile werden in China selbst produziert — mit der Produktivität und der Gewinnspanne. Ähnlich positiv lauten die Bilanzen anderer deutscher Unternehmensvertreter in China, die zumeist direkte Kontakte in den Provinzen gegenüber dem schwerfälligen Entscheidungsmechanismus der Zentrale vorziehen. In schwere Wasser dürfte indessen das im Bau befindliche Lufthansa-Center in der chinesischen Hauptstadt geraten, wo sich die einst expandierende Tourismusbranche noch lange nicht vom Tiananmen-Trauma erholt hat.

Trotz Entwarnung werden Geschäfte in China auch zukünftig schwierig bleiben. Deutsche Firmenvertreter wissen ein Lied von mangelnder Entscheidungsbereitschaft, Kompetenzgerangel, Bürokratie und Korruption zu singen. Hinzu kommen häufig wechselnde Weisungen der politischen Zentrale über die Befugnisse der Außenhandelsgesellschaften oder ein ständiger Austausch der Gesprächspartner und damit schleppende Verhandlungsführung.

Schleppend vollzieht sich auch der Übergang zur Marktwirtschaft im Geschäft der neuen Bundesländer mit China. Hatte der Warenaustausch zwischen der Volksrepublik und der DDR 1989 noch 1,2 Milliarden Mark betragen, so klangen ostdeutsche Firmenvertreter jetzt über empfindlichen Umsatzschwund, und mehrere haben das Rennen bereits aufgegeben. Wer sich bislang behauptet — Vertreter von Carl Zeiss Jena, Textima, Werkzeug- oder polygrafischen Maschinen beispielsweise — hat gleich mit mehreren Schwierigkeiten zu kämpfen: mit Heimatbetrieben, die sich in ökonomisch ungewisser Umstrukturierung befinden und die Qualität der Produkte verbessern müssen, sowie mit der Konkurrenz der etablierten westdeutschen Firmen. Ex-DDR-Firmenvertreter haben zumeist nur Kontakt zu den Osteuropa-Ressorts der Außenhandelsgesellschaften, die ihrerseits wenig Risikobereitschaft im Handel mit den alten Partnern an den Tag legen. Daran dürfte auch Lobbyist Rolf Berthold wenig ändern, bis zur deutschen Einheit DDR-Botschafter in Peking und jetzt bereits zum zweiten Mal geschäftlich eingereist, angeblich tätig im Technologie-Austausch.

Insgesamt aber läuft das deutsch- chinesische Geschäft wieder an. In Peking stehen alle Türen offen, und die Wünsche nach Abschlüssen mit der Bundesrepublik sind dringlicher denn je: Die Einbußen Pekings in Folge der Irak-Sanktionen und des Golfkrieges wachsen täglich um Millionen Dollar. Auf deutscher Seite stoßen China-Deals auf Gegenliebe — trotz der Welle von politischen Prozessen gegen die Aktivisten der Tiananmen-Proteste und der harten Verurteilung der Wirtschaftswissenschaftler Wang Juntao und Chen Ziming zu 13 Jahren Gefängnis am vergangenen Dienstag.