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Wehrkraftzersetzung auf amerikanisch

„Aktionskreis gegen den Krieg am Golf“ Erfurt hat Reservisten der US-Army in die thüringer Landeshauptstadt und Stadt des Friedens eingeladen/ Der Bezug zwischen Krieg in Vietnam und am Golf geschildert von Stephen Summer und Teilen der „Stop the war brigade“ im Alternativen Jugendzentrum  ■ Von Veit Voigt

Erfurt (taz) — Der „Aktionskreis gegen den Krieg Erfurt“ hatte Reservisten der US-Army, die den Militärdienst verweigert haben und Vietnam-Veteranen aus den Staaten eingeladen. Die hatten eigentlich vor, „Rap für den Frieden“ zu spielen, aber da nur ein Teil der „Stop the war“-Brigade angereist war, kam es diesmal zunächst nur zu einem Gesprächsabend im AJZ (Alternatives Jugendzentrum).

Während der täglichen Demo auf dem Erfurter Anger schilderten die Kriegsveteranen Beweggründe, die junge Amerikaner dazu treiben, zum Militär zu gehen. Darnall Stephen Summer: „Es gibt auch ein anderes Amerika als das von George Bush, das Amerika der Slumbewohner und der meisten Schwarzen. Sie sind gegen den Krieg.“ Wenn das antiamerikanisch ist, dann sei er eben antiamerikanisch.

Im AJZ stellten die Vietnamkriegsveteranen ein Video mit ihren Aktionen — unter anderem vor einer amerikanischen Kaserne in Fulda — „Rap für den Frieden“ vor. Das Interesse hierfür ist vor allem unter farbigen Soldaten groß. Mit ihrer Musik und mit Gesprächen will die „Stop the war brigade“ zum Nachdenken über die Frage bringen: „Für wen stirbst du, Soldat?“ Ins Deutsche übersetzt, bedeutet das so viel wie Wehrkraftzersetzung. Entsprechend ungehalten hätten auch die Offiziere in der Fuldaer Kaserne reagiert.

Viele junge Amerikaner kommen im allgemeinen zum Militär, weil sie arm sind, geringe Bildungschancen besitzen oder weil sie mit dem Gesetz in Konflikt geraten sind. Eine Faustregel, die da lautet: zwei Jahre Knast oder drei Jahre Militär.

„In Vietnam wurde uns gesagt, der Russe kommt ins Dorf und bringt die Leute um. Unsere Aufgabe vielmehr wäre es, die Leute dort zu beschützen. Dann kam alles ganz anders. Einheiten waren ausgezeichnet worden, weil sie die meisten toten Vietkongs vorweisen konnten. Es gab Promotionen für jede Steigerung der Leichenzahl. Jede Leiche wurde als toter Vietkong gezählt. Die Offiziere hatten die Soldaten der Karriere willen immer wieder raus in den Dschungel gejagt“, erzählt Stephen Summer über seine Kriegs- und Vietnam-Erfahrungen. Im Gegenzug seien 270 Offiziere durch eigene Soldaten umgebracht worden. Zwischen Soldaten und Vietkongs habe es aber auch geheime regionale Abkommen gegeben, sich nicht gegenseitig umzubringen. 1968 hatte sich schon eine breite Antikriegsbewegung und auch ein allgemeiner sozialer Aufstand gegen Rassismus und Not in Amerika formiert. Natürlich hat sich das auf die Moral der Truppe niedergeschlagen.

Auch heute, meint Summer, ist die Armee eine Art Sammellinse sozialer und politischer Spannungen in der amerikanischen Gesellschaft. Bei den Kampftruppen sind zum Teil 60 bis 70 Prozent Schwarze. In der Gesellschaft stellen sie jedoch nur 20 Prozent der Bevölkerung.

Bereits zu Zeiten des Vietnamkrieges waren die Formen des Widerstands gegen den Krieg in der Armee unterschiedlich: Es gab Untergrundzeitungen, politische Seminare, ganze Einheiten, die sich verweigerten. Der offiziellen „suche und zerstöre“-Methode der Armeeführung wurde die „suche und vermeide“-Methode entgegengesetzt. Der Kontakt mit Vietkongs sollte vermieden werden. Es ging für den US-Soldaten darum, die Hölle des Krieges zu überleben.

Wenn die Bodenoffensive in Kuwait beginnen sollte, wird sie die von Vietnam in den Schatten stellen, meint Summer.

Der Vietnam-krieg war durch die allgemeine Stimmung gegen den Krieg in den USA und in der Truppe unmöglich geworden. Im Jahr 1969 mußte Nixon die Bodentruppen schließlich abziehen, weil die nicht mehr kämpfen wollten.

Was aktuelle Pläne der Kriegsveteranen anbelangt, wollen sie zum Beispiel mit Veteranen des Afghanistan-Krieges zusammen Aktionen vor diversen Kasernen starten. Ähnlich wie zu Zeiten des Vietnam-Feldzuges soll der Widerstand innerhalb und außerhalb der Armee die Kriegsführung für die Regierung unmöglich machen.

Summer weiß, daß es sehr viel Widerstand gegen den Krieg innerhalb der Armee gibt: Kriegsdienstverweigerung, Ungehorsam und Sabotage. Die Militärgefängnisse in den Staaten seien dementsprechend voll. Er habe auch schon eine illegale Soldatenzeitung aus Saudi-Arabien in der Hand gehabt.

Das arabische Volk ist für Summer nicht der Feind. Für ihn sind die Feinde die Regierungen der Welt, die Menschen in den Krieg hetzen und damit ihre eigene Macht und Profitinteressen durchsetzen lassen. Saddam Hussein sei Sache der Araber. Für Summer trägt das System an allem Schuld. Wenn die Regierungen Kriege fordern, müßten die Soldaten schießen. Natürlich gibt es in den USA auch Begeisterung für den Krieg, doch den Umfrageergebnissen (80 Prozent der Befragten stimmten für den Krieg) traut und glaubt Summer nicht. Er weiß, daß bei solchen Umfragen sich kaum jemand in die Ghettos und Arbeitersiedlungen wagt. Entsprechend fallen dann auch die Ergebnisse aus.

Für Summer ist klar, daß die Regierung aus den Erfahrungen des Vietnam-Krieges gelernt hat. Mit der Zensur soll erreicht werden, daß die Amerikaner zu Hause kein reales Bild vom Krieg am Golf erhalten. Genauso sieht der GI die gleichen zensierten Bilder und weiß, daß die Realität eine andere ist. Die Soldaten werden vereinzelt und beargwöhnt, um nicht die gleichen bösen Überraschungen zu erleben wie in Vietnam.

Eigentlich sind die Soldaten genauso Unterdrückte und Geiseln von Bush. Viele wollen nicht für eine Lebensweise und ein System sterben, vor dem sie in die Armee geflohen sind. In Deutschland haben zum Beispiel viele auf einen ruhigen Posten gehofft und nun müßten sie an den Golf in den Krieg ziehen.

Damit der „Job“ einfacher fällt, sollen nach Summers Informationen 3.000 Prostituierte für die Soldaten nach Saudi-Arabien gebracht werden. Über den Zustand der Kampfmoral der GIs hatte ich selber schon von Freunden aus dem Rhein/Main- Gebiet gehört, die dort mit GIs gesprochen und Flugblätter verteilt hatten, deshalb klingt das glaubhaft.

Im AJZ kam an diesem Abend insgesamt viel Neues an Informationen für das ostdeutsche Publikum. Allein einige Amerikaner waren schon etwas Ungewohntes. Trotzdem blieb manche Antwort für sich oberflächlich. Für ostdeutsche Ohren klang ein vereinfachter Antiimperialismus an manchen Punkten doch etwas schrill.

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