: Kind soll abgeschoben werden
■ Dreijähriger türkischer Junge soll „freiweillig ausreisen“/ Petitionsausschuß angerufen
Warburg (taz) — Für den Fall, daß er der Ausreiseaufforderung bis zum zum heutigen 28. Februar 1991 nicht freiwillig nachkommen sollte, „wird die Abschiebung aus dem Gebiet der Bundesrepublik Deutschland angedroht“. Ausreisen, so will es „auch aufgrund generalpräventiver Gesichtspunkte“ der Oberkreisdirektor in Höxter, soll Gökhan Köylüoglu. Gökhan wird in zwei Monaten vier Jahre alt und lebt bei seiner Großmutter und deren Familie in Warburg. „Freiwillig“ ausreisen sollte das Kind, so der Oberkreisdirektor in Höxter in seinem Bescheid vom 3.12.90 weiter, weil „auch gegenüber anderen Ausländern und der Allgemeinheit ein besonderes Interesse daran (besteht, die Red.), wirksam vor Augen zu führen, daß eine unzulässige Familienzusammenführung (...) unter Mißachtung der deutschen Einreisevorschriften keinesfalls toleriert wird“.
„Wirksam“ wäre die Abschreckung, die von der Abschiebung eines Vierjährigen ausginge sicher. Verhindern kann sie nur noch der Petionsausschuß im Düsseldorfer Landtag, denn die Ausreiseaufforderung ist — als Folge eines Formfehlers — rechtskräftig.
Gökhan war eineinhalb Jahre alt, als er Weihnachten 1988 nach Warburg kam. Der Aufenthalt bei seiner Großmutter wurde vom Kreis Höxter als Besuch befristet, da nur Ehegatten und Kinder unter 16 Jahren in die Bundesrepublik nachziehen dürfen. Gökhans Mutter, die in der Türkei in Nigde lebt, kann den Jungen jedoch nicht aufziehen, da sie krank ist, unter schweren Depressionen leidet und selbst von ihrer Mutter gepflegt wird. Die Frau versorgt außerdem Gökhans Zwillingsbruder Serkan, drei eigene Kinder und ihren invaliden, arbeitsunfähigen Mann, und erklärte an Eides statt, Gökhan nicht auch noch aufnehmen zu können.Im Oktober letzten Jahres übertrug das Landgericht in Nigde das Sorgerecht für Gökhan der in Warburg lebenden Großmutter. Das Warburger Jugendamt hielt daraufhin den bei ihm von den Köylüoglus zusätzlich gestellten Sorgerechtsantrag für überflüssig und versicherte der türkischen Familie, Gökhan könne nun in Deutschland bleiben. Auf den Jungen, der seine Großmutter längst als seine eigentliche Mutter ansieht und sie auch so nennt, habe sich das Hin und Her der Behörden und die Angst seiner Verwandten vor dem näherrückenden Abschiebetermin übertragen. Er leidet inzwischen unter Angstzuständen und Asthma. Die Höxteraner Grünen wollen heute in einem letzten Versuch im Kreisausschuß beantragen, die Ausweisung rückgängig zu machen. Der Ausschuß hat sich jedoch bereits für unzuständig erklärt. Bei dem Fall handele es sich „um ein Geschäft der laufenden Verwaltung“. Bettina Markmeyer
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen