: Denkt an die Zeit danach
■ Ein israelisches Plädoyer für einen Kompromiß mit den Palästinensern DOKUMENTATION
Man sollte sich von der „Zurückhaltung“ Schamirs angesichts der Scud- Angriffe nicht täuschen lassen. Die Anwendung des Prinzips des automatischen Rückschlags hätte Israel einen größeren politischen Schaden zugefügt als den USA. Fraglich ist auch, ob unser Premierminister den Amerikanern wirklich hätte nein sagen können. Und so brauchten wir nicht zu beweisen, daß wir immer alles besser machen als die Amerikaner. Aber das eigentliche Problem ist, welche Haltung das Israel Schamirs, Arens und Scharons einnimmt.
Prinzipiell gibt es zwei Möglichkeiten. Die erste würde dazu führen, die eingeschränkte Bedrohung von der östlichen Front und das drohende Chaos in Jordanien auszunutzen, um eine umfassende Friedensinitiative vorzuschlagen, die sowohl die Palästinenser als auch die Syrier mit einschließt. Die zweite Option bestünde darin, die Dinge dort wieder aufzunehmen, wo sie am 15.Januar stehengeblieben sind, und zwar in einer für unsere Sicherheit sehr viel günstigeren Situation, da die Gefahr eines Aufflammens der östlichen Front beseitigt wäre. Mit anderen Worten würde diese zweite Möglichkeit dem Krieg folgendes Ziel verleihen: Die jetzige Situation einzufrieren und jede Initiative abzublocken, die Israel aus den während des Sechs-Tage-Krieges eroberten Gebieten zu vertreiben drohte.
Natürlich würde die erste Option einen kühnen Kompromiß über die Golan-Höhen und die Anerkennung eines entmilitarisierten Palästinenserstaates am Westufer des Jordan und im Gazastreifen fordern. Wenn wir nicht an unserer Spitze eine Regierung hätten, die von der Idee Groß-Israels durchdrungen ist, wäre die Sache nicht so schwierig. Zumal aus unserer Sicht der Golfkrieg gezeigt hat, daß das Festhalten an den Gebieten westlich des Jordan keines der wirklichen Probleme der Sicherheit Israels löst.
Jeder vernünftige Mensch wird heute verstanden haben, daß man, um der nationalen Sicherheit zu dienen, nicht die Steinwerfer der Intifada bekämpfen muß, sondern die strategische Bedrohung wie sie der Irak darstellt. (Der Artikel wurde vor Ende des Krieges geschrieben. Anm. d. Red.) Unsere nationale Sicherheit beruht auf der Motivation unserer Bevölkerung, auf einer ausgefeilten Technologie, die eine schnelle Reaktion auf jede Bedrohung erlaubt und auf der Verbesserung des Verhältnisses mit der arabischen Welt. Dies hat nichts zu tun mit den mickrigen Hügeln östlich der grünen Grenze. Diese Gebiete unbedingt halten zu wollen, würde die wirklichen Bedürfnisse unserer Sicherheit gefährden, da die Aggression der Araber herausgefordert und die Region weiter destabilisiert würde.
Auf die Dauer wird die PLO gestärkt aus der Unterstützung Saddam Husseins hervorgehen. Im Mittleren Orient der Nachkriegszeit wird der irakische Widerstand gegen die technologische Macht der westlichen Welt die Ausmaße eines Heldenepos annehmen, der die Phantasie von Millionen von Arabern beflügeln wird. Der Golfkrieg wird den Nationalstolz aller Völker der Region wecken. Selbst besiegt und kleingemacht wird der Irak im kollektiven Bewußtsein der Moslems das Land bleiben, das sich dem gegen ihn vereinten Okzident allein entgegenzustellen gewagt hat. Haß, Frustration und verletzter Stolz bilden immer ein gefährliches Pulverfaß.
Wir haben keinerlei Einfluß auf die Entwicklung innerhalb der arabischen Welt. Aber wir können die Richtung unserer eigenen Politik bestimmen. Die wirkliche Rolle unserer nationalen Führer ist es, in die Zukunft zu blicken, und nicht, sich vor Fernsehkameras aufzuspielen und dem Ego einer verwöhnten Bevölkerung zu schmeicheln. Am Ende werden die amerikanischen Flugzeugträger wieder abziehen und wir bleiben hier. Selbst wenn Saddam von der politischen Bühne verschwindet, wird der Irak wiederaufgebaut werden, und die westliche Koalition wird sich so schnell wieder auflösen, wie sie gebildet wurde. Israel verstieße gegen den Sinn der Geschichte, wenn es entgegen allen Hoffnungen in wenigen Wochen, so als sei nichts geschehen, den palästinensischen Aufstand wieder niederzuschlagen begänne. Es würde eine einmalige Chance verpassen, an einer Neuordnung der Region teilzuhaben, seinen Anteil an der Beruhigung des Konfliktes zu leisten und seine Sicherheit zu gewährleisten.
Man darf auch ein weiteres Element nicht vergessen: die Nachkriegswelt wird uns gegenüber weniger nachsichtig sein als vor Ausbruch der Krise oder noch im Augenblick. Die Amerikaner haben mehr als einmal ihre Verbündeten verlassen, bevor diese überhaupt verstanden, wie ihnen geschah. Die Sympathie, die uns zugute gekommen ist, wird schnell verkümmern, wie nach dem Sechs-Tage-Krieg. Nach Kriegsende wird der israelisch-arabische Konflikt noch störender sein, und die arabischen Staaten, die gegen den Irak gekämpft haben, werden noch mehr geneigt sein, sich für die Bevölkerung in den besetzten Gebieten einzusetzen. Es wäre illusorisch zu glauben, daß das Palästina-Problem weniger aktuell wäre. Wenn die Waffen am Golf schweigen werden, wird man die eigentliche Bedeutung des berühmten „linkage“ begreifen, gegen das Israel sich so gewehrt hat. Das „linkage“ ist kein gegen Israel geschmiedeter Komplott. Es liegt im Herzen des arabisch-israelischen Konfliktes. Zwar gibt es keine Verbindung zwischen dem Einmarsch in Kuwait und der Intifada, aber es existiert ein enger Zusammenhang zwischen den Machtverhältnissen in der Region und dem Krieg der Araber gegen die Juden. Deswegen liegt es im Interesse Israels, daß es eine globale und kühne Initiative gibt, um das Beste aus dem Krieg zu ziehen.
Doch diese Richtung wird die regierende Koalition zweifellos nicht einschlagen. In den Augen der Regierung Schamir ist das Ziel des Krieges nicht ein Friede im Rahmen einer globalen regionalen Regelung, sondern das Einfrieren der jetzigen Situation. Schamir klammert sich an Groß-Israel und verwendet alle in der israelischen Regierung vorhandene Energie, um sich in die besetzten Gebiete einzugraben. Man sollte sich also keine falschen Hoffnungen machen. Dort liegt das eigentliche Kriegsziel der heutigen Regierung.
Diese Position ist natürlich nie so scharf ausgedrückt worden. Kein Regime wäre heute bereit zuzugeben, daß sein eigentliches Ziel ist, jede friedliche Entwicklung zu blockieren. Aber im Grunde ist für Schamir jeder gewonnene Moment ein Sieg. Mit jedem Jahr, was vergeht, erklimmt er eine Sprosse auf der Leiter. Jede politische Initiative, die eine Möglichkeit zur Lösung des Konfliktes birgt, wird sofort als ein von den Feinden Israels geschmiedeter Komplott dargestellt, als eine Gefahr für unsere Existenz, als ein Vernichtungsplan. Mit dieser Perspektive sieht man schlecht, wie die Dinge sich ändern sollten, selbst wenn die letzte irakische Raketenabschußrampe zerstört sein wird. Schamir wird niemals zugeben, daß der dritte Pfeiler, auf dem unsere nationale Sicherheit ruht, die Verringerung der arabischen Feindseligkeit durch einen Friedensvertrag aufgrund der nach dem Unabhängigkeitskrieg festgelegten Grenzen ist.
Die Schlußfolgerung aus dieser Analyse ist wenig ermutigend. Ein amerikanischer Erfolg könnte von Israel in eine reine Niederlage verwandelt werden. Schamir und seine Verbündeten sind unfähig, an einer globalen Neuordnung im Nahen Osten teilzunehmen. Die Welt wird sich entwickeln, während Schamir auf seinen Positionen beharrt. Seine wahren Intentionen zeigt der Likud- Chef durch die Tatsache, daß er auf die sich ihm bietende Möglichkeit verzichtet hat, eine Regierung der nationalen Union zu bilden und es statt dessen vorzog, einen Mann wie Re'haveam Zehevi, der die Umsiedlung der Araber predigt, in seine Regierung aufzunehmen. Peres und Rabin waren bereit, sich ohne Vorbedingungen in die Regierung einzufügen und hätten ihm eine bequeme, sichere und gefügige Mehrheit verschafft. Aber Schamir bevorzugte allein die Rechten, weil nur diese Rechte ihm wirklich treu ergeben ist. Sie allein garantiert ihm, daß keinerlei Kompromisse auf Kosten Groß- Israels gemacht werden. Kein Preis ist in seinen Augen zu hoch, wenn er nur die geringste Chance bietet, die 1967 eroberten Gebiete zu behalten. Die Anwesenheit Zahevis in der Regierung bestätigt, was wir schon seit vielen Jahren behaupten: Die Besetzung verdirbt und verkommt, und je länger sie dauern wird, desto mehr wird das Übel zunehmen. Zeev Sternhell
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