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Der „interne Glaubenskrieg“ bei den Grünen

Der Golfkrieg hat bei den Grünen auch an der Basis heftige Debatten über das Verhältnis der Partei zu Israel provoziert/ In Darmstadt verließ der Geschäftsführer der Stadtratsfraktion wegen Attacken gegen seine proisraelische Haltung die Partei  ■ Von Klaus-Peter Klingelschmitt

Darmstadt (taz) — „Die Problematik des jüdisch-deutschen Verhältnisses ist seit Gründung der Grünen nur dann wenigstens zu einem Randthema parteiinterner Diskussion geworden, wenn dies durch das besondere und beharrliche Engagement Einzelner erzwungen wurde. Demgegenüber wurden die PLO und ihre Unterorganisationen wie selbstverständlich als Partner der Grünen behandelt.“ Diese beiden Sätze schrieb der Darmstädter Ex-Grüne Michael Will der Partei Ende Febuar ins Stammbuch. Als der Text im 'Mitteilungsblatt und Diskussionsmagazin‘ der Darmstädter Grünen erschien, war Will allerdings schon aus der Partei ausgetreten und hatte seinen Job als Geschäftsführer der Stadtratsfraktion geschmissen — „wegen all dem, was die Grünen und die politisch handelnden Personen des sie umgebenden Spektrums zum Thema Israel in den vergangenen Jahren getan und gelassen, gesagt und verschwiegen haben“.

Der Parteiaustritt von Michael Will oder des Frankfurter Erziehungswissenschaftlers Michael Brumlik, die sich durch die falschen grünen Zungenschläge gegenüber Israel und der besonderen Verantwortung der Deutschen aus der Partei getrieben sehen, gehören zu den spektakuläreren Konsequenzen des prekären grün-israelischen Verhältnisses. Doch heftige Debatten zum Thema gab es überall in den Orts- und Kreisverbänden der hessischen Grünen. Die hatten sich auf einer Landesmitgliederversammlung Ende Januar nur mit knapper Mehrheit dazu durchringen können, die bundesdeutsche Lieferung militärischer Abwehrsysteme gegen die irakischen Scud-Raketen an Israel zu tolerieren. Die Auseinandersetzungen zwischen den überzeugten Pazifisten, die sich gegen den Export jeder Militärmaschinerie wenden und denen, die Israel diesen bewaffneten Schutz nicht verweigern wollten, mündeten vielfach in einen internen „Glaubenskrieg“.

Ein „Entrüstungssturm“ sei über ihn hereingebrochen, berichtete Michael Will, als er sich während einer Friedenskundgebung mit einer israelischen Fahne auf den Luisenplatz gestellt habe. Und diese Reaktion angesichts der „Juden-Fahne“ lasse nur erahnen, wie unbewältigt die Schuld der Vergangenheit ist, und wie untragbar die Verantwortung in der Gegenwart. Will: „Für Menschen, die so denken, kann ich in Zukunft ebensowenig Politik betreiben, wie ich es gemeinsam mit Menschen tun kann, die dies in ihrer Mehrheit nicht für einen Vorgang halten, der einen sonderlich zu beunruhigen habe.“ Vor drei Jahren, so Will in seinem Beitrag für die Mitgliederzeitung, sei auf einer PLO- Solidaritätsveranstaltung mit grüner Beteiligung eine israelische Fahne verbrannt worden „ohne daß das jemanden groß geschert hätte“.

In diesem Zusammenhang sei es auch alles andere als ein Zufall, daß vier verschiedene Delegationen von vier Bundesvorständen der Grünen außerstande waren, ihre jeweiligen Visiten in Israel ohne Eklat zu beenden. Und noch viel weniger sei es zufällig, daß ausgerechnet dieses Mal, „in einer Zeit, da alle Israelis in der Furcht vor der durch deutsche Hilfe möglich gewordenen irakischen Giftgasdrohung leben“, der Eklat bereits da gewesen sei, bevor die Delegation die Maschine nach Tel Aviv bestiegen hatte. Im Fall Ströbele sei allerdings nach mittelalterlicher Maxime verfahren worden: „Dem Überbringer der schlechten Nachricht, daß eine überwiegende Zahl von Grünen, Alternativen und Friedensbewegten irgendwie doch so oder ähnlich denkt, wird politisch der Kopf abgeschlagen. Das löst aber kein Problem und erledigt keine Auseinandersetzung.“

Am vergangenen Freitag äußerten sich der grüne Fraktionsvorsitzende im Darmstädter Stadtparlament, Günther Mayer, und das Mitglied des Kreisvorstandes, Peter Kremz, zum Austritt von Michael Will, „dem die Partei viel zu verdanken hat“. Die Grünen in Darmstadt, so Mayer, könnten die Vorwürfe von Will nicht treffen, denn sie seien „nicht zu belegen“. „Leute aus den Friedensgruppen, Rechte und Palästinenser“ hätten Will auf dem Luisenplatz verbal attakiert, und bei dem langjährigen Fraktionsgeschäftsführer, der „persönlich in einer Krise stecke“, eine Überreaktion provoziert. Innerhalb der Fraktion habe eine große Mehrheit die Lieferung von Abwehrwaffen für Israel befürwortet — und die Reise einer grünen Delegation in die Darmstädter Partnerstadt Nacharia sei gleichfalls beschlossen worden. Allerdings habe es auch in der Fraktion Kritik an der Behandlung der Palästinenser in den besetzten Gebieten gegeben. „Wirrköpfe“ wie Ströbele oder Damus gebe es in der Stadtparlamentsfraktion der Grünen aber nicht, meinte die Landtagsabgeordnete Daniela Wagner-Pätzhold. Deshalb bleibe der Austritt von Will aus der Partei „unverständlich“ — „eine Reaktion aus persönlicher Enttäuschung heraus“.

Von den Darmstädter Grünen sei Will deshalb auch „nicht im Zorn geschieden“, betonte Fraktionschef Mayer, der zugleich ankündigte, daß die Grünen in Darmstadt ihre Kontakte zur jüdischen Gemeinde und zur israelischen Partnerstadt ausbauen möchten. Denn in Israel sei die Delegation aus grünen Lokalpolitikern vor drei Wochen auf „nichts als große Freundschaft“ gestoßen, wie Delegationsmitglied Helmut Dreßler berichtete. Auch kritische Fragen nach der Situation der Palästinenser seien von den Gastgebern „weder abgeblockt noch mißverstanden“ worden. Im Gegenteil seien ihnen Kontakte zu arabischen Familien von den Israelis vermittelt worden. Allerdings habe man in Nacharia nicht mit „Leuten von den Rechten“ geredet.

Für Michael Will war die Israelreise der Darmstädter Grünen offenbar ein Schlüsselerlebnis — und der letzte Anstoß zum Austritt aus der Partei: „Mit der im Lande obligatorisch gewordenen Gasmaske unterm Arm durch eine Ausstellung über das Schicksal der Juden in den Ghettos und danach in den Vernichtungslagern zu laufen, und anschließend dem Leiter der Einrichtung, der seine Familie in Auschwitz verloren hat, auftragsgemäß kritische Fragen zum israelischen Militarismus zu stellen — da versagte mir die Stimme.“

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