: Jesus Lizard & Fleischmann
■ Hyperventilierende Hysterie
Jesus Lizard — das ist zuerst einmal ein Bandname mit »Jesus« drin wie ca. 50 andere auch (Jesus Jones, Depp Jones, etc.). David Yow (Sänger, Ex-Scratch Acid) behauptet aber, daß seine Band die ersten, echten »Jesus« waren, seit fünf Jahren ist er die dauernden Verwechslungen leid und sucht nun nach einem neuen Namen. Je, nun, das kann man ihm abnehmen, schließlich waren Scratch Acid auch die erste Ami-Band der 80er, die lange vor dem Acid-Revival den Begriff »Acid« im Namen hatten, nämlich 1983. Scratch Acid haben von '84 bis '87 zwei EPs und eine LP veröffentlicht, bevor David Yow in der Klapsmühle eine Runde aussetzen mußte.
Wie lamentierte er noch 1984 im Song »Cannibal«: »You eat my brain, you eat my heart, you eat my stomach«. Ob's am Acid lag, das aufkratzt, weiß nur der Herr selbst. Die Musik von Scratch Acid jedenfalls tat's. Hyperventilierende Hysterie, bis zur vollsten Erschöpfung angespannt, keine Ruhe wieauchimmer in Aussicht. Das muß fertigmachen. Als man seinen Kopf samt Seele wieder funktionstüchtig zusammengeflickt hatte, kam der Mann auf keine bessere Idee, als gleich wieder eine Band zu starten.
Nun ist ein kleines Nest wie Austin/Texas »nicht der richtige Ort, um eine Sache zu vollenden«, sprach David Yow und zog mit David Wm. Sims (Bass, Ex-Scratch Acid) nach Chicago. Dort gibt es »Touch & Go«, das Label, das sich schon immer gern der kränkelnden Künstler annahm (Killdozer, Flour, Urge Overkill, etc.), und dazu noch Duane Dension (Gitarre) und Mac McNeilly (Drums, Ex-Phantom 309).
Nach Jesus Lizards erster, schwacher EP »Pure«, noch mit Drumcomputer aufgenommen, folgen zwei Singles und zwei LPs. Nun kann sich ein professioneller Hysteriker wie Yow nicht einfach ruhigstellen, indem er sich hinsetzt, um auf der Wandergitarre hübsche Melodien zu zupfen. Nein — da fehlt was. Aber was? Der Lärm und die Loslösung aller harmonischer Dynamik allein bringen nur noch mehr Konfusion/Verirrungen. Siehe Debut-LP »Head« — zwar gut gemeint, aber substanzlos verschenkt.
Das ist ziellos, heillos ausufernde Hysterie mit netten Geschichten über Blut, Dreck, Family und Sperma. Also alles andere als »Head«. Die erste Single war ein Schritt zurück, nämlich eine Cover-Version der guten alten Chrome von '76: »TV as Eyes/ Abstract Nympho«. Leider ein wenig derb heruntergeleiert, aber auf dem richtigen Weg, dem einzig möglichen Boden für hysterische Dynamik, nämlich Väterchen Rock'n‘Roll.
Die neue LP »Goat« mit der Single »Mouth Breather« zeigt das erste akzeptable Resultat, nämlich konzentrierte hysterische Dynamik, Basis Rocksong, Ende offen. »Goat« hat die richtige Grundlage, und ist damit ein großartiges Werk. Gerade ohne Steve Albini (Ex-Produzent), der ja überall seine Finger drin hatte und gute, richtige Ansätze konsequent versaute.
Auf Tour hat David Yow die Gewohnheit, seine Eier rauszuholen und damit zu spielen bzw. am Mikro zu wärmen, wenn er gerade mal nicht damit beschäftigt ist zu singen (selten!). Darauf sollte sich das zarte (starke) Geschlecht einstellen, auch wenn ihn das, wie er sagt, »inzwischen langweilt«. Ein Happy End für Jesus Lizard oder wie sie sich in Zukunft auch nennen wollen.
Kein Happy End erstmal für die Vorgruppe Fleischmann aus Berlin, die sich zuerst den Namen erarbeiten müssen, was für eine deutsche Band nach wie vor besonders hart ist. Deren Motto, extrem nüchtern: »Weitersuchen, wenn alles gesagt ist«. »R'n‘R ist die Sublimierung der eigenen Passivität«, sagt Fleischmann, »je härter und schneller, je dreckiger und obszöner, desto mehr beruhigt sich das wütende Gewissen des Konsumenten, als Stellvertreter der Revolution gerät er regelmäßig außer sich, damit wir auch morgen wieder zur Arbeit gehen können«. Es ist schon ein Kreuz mit diesem Jesus, und der Lizard King liegt immer noch still in seiner Wanne. Peter K.
Um 21 Uhr im Ecstasy
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