: Kein Entrinnen aus dem Teufelskreis
■ 33jähriger aidskranker Drogenabhängiger wegen versuchten Bankraubs zu 18 Monaten Haft verurteilt/ Verteidigung forderte vergebens Therapie und Methadon-Substitution
Moabit. Ein Federstrich hätte genügt, dann wäre der 33jährige Angeklagte Andreas Z.* nicht in den Knast, sondern zur Therapie in ein psychiatrisches Krankenhaus gekommen. Doch diese winzige Chance, dem Teufelskreis von Drogenabhängigkeit, Beschaffungskriminalität und Knast entrinnen zu können, wurde dem aidskranken Mann von der 12. Strafkammer des Berliner Landgerichts gestern verwehrt. Andreas Z. wurde zu 18 Monaten Haft wegen versuchter räuberischer Erpressung verurteilt. Wenn das Urteil rechtskräftig wird, wandert er in den Tegeler Knast zurück, aus dem er erst im Dezember entlassen worden war und zehn Tage später gleich wieder eine neue Straftat begangen hatte: Er versuchte in Kreuzberg mit einer Spielzeugpistole, die in einer Plastiktüte verborgen war, eine Bank zu überfallen, wurde aber von der Kassiererin nicht ernst genommen. Er entkam, stellte sich aber zwei Tage später freiwillig der Polizei. Vor Gericht bestritt der Angeklagte gestern die Tat — im Gegensatz zu früheren Aussagen bei der Polizei. Er behauptete nunmehr, daß er sich in der Bank nach einem Kredit erkundigen wollte. Aber die Richter glaubten ihm nicht. Kein Märchen, sondern in Akten verbürgte bittere Wahrheit war jedoch, was Andreas Z. über sein bisheriges Leben erzählte: Er wurde im Alter von vier Jahren ins Heim »abgeschoben«, kam später für kurze Zeit zu Pflegeeltern und wurde dann in die Kinderpsychiatrie eingewiesen, wo er wegen angeblicher Anfälle mit Medikamenten »vollgepumpt« wurde. Damit war der Grundstein für die Drogenabhängikeit gelegt. Mit 13 Jahren rauchte er Haschisch, griff schnell zu härteren Drogen wie LSD und Kokain und war im Alter von 18 Jahren heroinabhängig. Nach diversen Vorstrafen wegen Körperverletzungs- und Eigentumsdelikten wanderte er zu guter Letzt für drei Jahre wegen Vollrauschs in den Knast. Daß er zu diesem Zeitpunkt schon HIV-positiv war, verschwieg er in Tegel nicht. Seine Versuche, im Haus IV eine Therapie zu bekommen, scheiterten daran, daß er dort nicht aufgenommen wurde. Auch seine Anträge auf eine Ausbildung oder Schulung wurden ablehnt.
Ohne Vorbereitung wurde Andreas Z. Anfang Dezember entlassen. »Mit den Sachen, die ich hier am Körper habe, stand ich bei minus 15 Grad und 1.000 Mark in der Hand auf der Straße«, berichtete er gestern. Für 500 Mark habe er sich eine Lederjacke gekauft und den Rest für ein Pensionszimmer und Heroin investiert. Sein Versuch, mittels der Berliner Aids-Hilfe ein Bett in der Krisenwohnung im Urbankrankenhaus zu bekommen scheiterte daran, daß »alles voll war«. Auch die Strafentlassenen-Hilfe habe keinen Rat gewußt und ihn an das Obdachlosenasyl verwiesen.
Der psychiatrische Gutachter Werner Platz erklärte sich den versuchten Banküberfall aus »tiefenpsychologischer Sicht« so, daß Andreas Z. von dem »unbewußten Wunsch getrieben wurde«, wieder in den Knast zu kommen, »weil er mit den Problemen draußen nicht zurecht kam«. Zu seinen Mitgefangenen, so Platz, verspürte der Angeklagte eine »emotionale Zugehörigkeit«, die ihm draußen fehlte. Die Verteidigerin Krause-Dommnich forderte das Gericht vergebens auf, den Angeklagten zur Therapie und Methadonsubstitution in eine psychiatrische Klinik einzuweisen. Auch der Appell von Andreas Z. »in Tegel habe ich keine Chance, da passiert nichts«, fruchtete nichts. plu
* Name von der Redaktion geändert
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