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QUERSPALTEFriielingsfeelings und Kaffeehaus-Träumereien

■ Winsche und Wisionen zum heutigen offiziellen Frühlingsbeginn/ Neue Ideen wuchern ins Kraut

Frühlingsanfang! Es grenzt an ein wahrhaftiges Wunder, daß er ja doch immer wieder stattfindet — trotz Golfkrieg, Kohl, Aids, Ozonloch, Waffenexporten und Parodontose. Sagenhaft, wie sich die Natur immer wieder durchschlägt, wie mutig die Pflänzchen ihre Köpfe in den lauen Abgaslüften hinhalten, wie es die grünen Triebe voller Liebe aus der verseuchten Erde treibt.

Nicht weniger Mut, denkt sich die in einem sonnigen Café sitzende kleine taz-Reporterin, besitzen die Ableger des männlichen Menschengeschlechts, die nun aus ihrer Wintervermummung sprießen. Da werden jetzt wieder Hautrundungen aller Art gezeigt — in der Sonne funkelnde Glatzen, sich zärtlich über Bäuche spannende T-Shirts und dann diese bezaubernde biologische Vielfältigkeit der Wadenformen, die von hochrutschenden Hosenbeinen freigegeben werden: Birnchen, Gurken, Stachelbeeren, Spargel, Altkartoffeln und so weiter.

Hier werden heiße Wünsche frei. Zum Beispiel der, Männern das öffentliche Zurschaustellen kurzer Hosen generell zu verbieten — entweder per Grundgesetzänderung oder durch eine Erweiterung des Straftatbestands der Beleidigung auf ästhetische Insultationen aller Art.

Doch was soll's, sich immer wieder in männlichen Waden festzubeißen, denkt sich die resignierte taz-Reporterin. Neue Maikäfer braucht das Land!

Gefragt ist doch vielmehr die Erotik neuer, durch die Luft schwirrender Ideen. Sie stellt sich die in zwanzig Jahren endlich aufgeblühte Hauptstadt vor: Affen- und Schinkenbrotbäume säumen die in »Georgia-Tornow-Gedächtnissteig« umbenannte frühere Stalinallee. Seit die taz-Belegschaft in einem historischen Plenum beschlossen hatte, der Treuhand wegen erwiesener Unfähigkeit ihrer Leitung und Konkurs zahlreicher Unterabteilungen ein komplettes Übernahmeangebot zu machen, erlebt Berlin eine neue wirtschaftliche Sumpfblüte.

Als erstes wurde danach Detlev Rohwedder entlassen und erbarmungslos den rauhen Winden der Arbeitslosigkeit ausgesetzt, doch seit neuestem sieht man den Treuhandchef auf dem Winterfeldtmarkt ab und zu Sonnenblumenkernbrot aus der Öko-Bäckerei der UFA-Fabrik in Tempelhof verkaufen. Die anderen Treuhand-Manager haben inzwischen in basisdemokratischen Schnellkursen selbstverwaltete Manieren erlernt, zu denen zum Beispiel renitente Unpünktlichkeit oder beharrliches Abschieben von Verantwortung auf andere gehört.

Mit taz-Veteranen bestückte Schnelle Eingreiftruppen rasen inzwischen durch die Stadt, um in den Belegschaften der rund 970 selbstverwalteten Betriebe ununterbrochen Konflikte zu schlichten. Immerhin aber ist in Berlin endlich mit dem Profitprinzip gebrochen worden: Niemand macht mehr Gewinne.

Auch die erneuerte rot-graue Koalition im Senat hat mit einer revolutionären Errungenschaft aufzuwarten: einem Parlamentarischen Ausschuß zur Beseitigung von Liebeskummer. Wer sich mit einem berechtigten Kummer-Anliegen an diesen Ausschuß wendet — das als solches erst einmal von einem Unterausschuß anerkannt werden muß —, bekommt aus dem Solidaritätsfonds der Treuhand wahlweise ein selbstverwaltetes Belegschaftsmitglied oder einen Zehnmarksgutschein für einen Disko- Besuch zur Verfügung gestellt.

Erwähnenswert ist auch die neue meteorologische Mitbestimmungsanlage über der Stadt. Per Mehrheitsentscheid über einen Fernseh- Großcomputer kann die Bevölkerung entscheiden, ob es Tropfen, Kübel, Hunde und Katzen oder Ostereier regnet.

Allzuviel Sonnenschein ist allerdings nicht erlaubt, da Volkes Wünsche sonst allzuwild ins Kraut wuchern — wie bei unserer sinnierenden Reporterin Ute Scheub.

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