: Das Telefon in meinem Bett
■ Das Landestheater Halle gastiert mit Jean Cocteaus »La voix humaine« im Saalbau Neukölln
Cocteaus Einakter Die menschliche Stimme von 1930 ist eines der vielen Stücke, die vom Ende der Liebe sprechen. Rosselini verfilmte das Stück 1947 mit Anna Magnani, in deutscher Sprache liegt seit 1961 eine Plattenaufnahme von Hildegard Knef vor. Eine andere Variante präsentierte jetzt das Landestheater Halle, das als Gast der Berliner Kammeroper und des Institut Franaise, die »Tragédie lyrique« in der Klavierfassung von Francis Poulenc aufführte. Das im September letzten Jahres erarbeitete Konzept stellt sich auf den ersten Blick als Ausnahme im nur mehr an kommerziellen Unterhaltungsinteressen ausgerichteten Theaterleben der FNL dar.
Das Stück, das schon Cocteau als Protest gegen die Sensationspraktiken des Boulevardtheaters verstand, führt Regisseurin Heike Hanefeld in altbewährter avantgardistischer, Bühne und Publikum nicht voneinander trennender Manier vor. Für eine Kammeroper ist es immer noch aufsehenerregend, wenn wie in der Bühnengestaltung von Andrea Eisensee, die Spielfläche mitten durch den Zuschauerraum verläuft. Den Hallenser Wende-Intendanten zumindest passen solche Vorstellungen nicht ins Konzept. Das Stück ist mittlerweile vom Spielplan abgesetzt und sucht sein Glück nun im Westen.
Cocteaus Drama aber wurde schon bei der Generalprobe zur Uraufführung im Februar 1930 nicht unwidersprochen hingenommen. Der surrealistische Poet Paul Eluard zettelte mit dem Ruf »Das ist obszön! Hören Sie auf!« einen tumultartigen Protest an. Er empfand das Stück als unerträgliche Leidensstilisierung einer verlassenen Geliebten, an der der Autor ein fragwürdiges sexuelles Phantasma zelebriere: Erfüllung der Liebe sei einzig im Tode möglich. Die Frau erscheint in den Regieanweisungen Cocteaus als symbolisches Opfer: »Die Schauspielerin sollte den Eindruck erwecken, als blute sie, als verliere sie Blut wie ein hinkendes Tier und als ende sie in einem Zimmer voller Blut.«
Obwohl ein Protest gegen eine solche Männerphantasie heute kaum zu erwarten wäre, merkt man der Inszenierung die Auseinandersetzung mit diesem Vorwurf an. Die Textvorgabe und die dramaturgische Gliederung des Liebesdramas hat sie dennoch übernommen. In einem letzten Telefongespräch des Pärchens scheint sich ein finaler Liebestod der Verlassenen zu vollziehen.
In Bühnenbild und Requisite aber sind entscheidende Unterschiede zu erkennen. Cocteau wollte die Spielfläche in ein völlig weißes, hell erleuchtetes Ambiente verwandelt sehen, um die menschliche Isolierung der Hauptfigur in der ihr vertrauten Umgebung des Schlafzimmers hervorzuheben. Die einzige menschliche Stimme, die ihr noch zugänglich ist, bedarf der technischen Übermittlung durch die »Höllenmaschine«, das Telefon. Der Apparat wird in Cocteaus Vorlage zum eigentlichen symbolischen Zentrum der Darbietung, dem die Schauspielerin ihr Leiden klagt und die ihr einziger Trost ist: »Diese Schnur ist noch das Letzte, was mich mit dir verbindet ... Vorgestern abend? Da habe ich geschlafen. Ich habe mir das Telefon mit ins Bett genommen.«
Hanefeld und Eisensee widersetzen sich diesen Vorgaben. Die Beleuchtung ist eher spärlich eingesetzt und unterstreicht — ähnlich wie der klingelnde Apparat — nur mehr die dramatischen Schnitte, die in ihrer Inszenierung durch das Wechselspiel der Klavierpartien Poulencs mit der Gesangsstimme von Evelin Garbrecht (Sopran) realisiert sind. Die Sängerin aber agiert im dramaturgischen Ablauf nicht als todverfallenes Opfer sondern verläßt erhobenen Hauptes die Bühne, sie hat ihre theatralische Szene gehabt, wie sie Cocteau gerade nicht wollte. Beschrieben seine Sätze »ein ganz gewöhnliches, mittelmäßiges Opfer«, dessen Banalität durch sprachliche Nachlässigkeit und literarische Klischierung der Ausdrucksweise tragikomisch hervorgehoben werden sollte, so verleiht die musikalische Interpretation dem Text einen ungebrochenen Kunstcharakter.
Die den Surrealisten verdächtige Leidensmimik des Telefonmonologs ist dadurch zwar vermieden, an seine Stelle aber tritt die sentimentale Aussöhnung zwischen Zweien: Die Singstimme der Garbrecht bricht sich nicht an der sie umgebenden Stille, sondern fügt sich immer wieder den wohlklingenden Melodien des Klaviers. Eine Versöhnung in der Kunst, die Cocteaus Romantik vom Liebestod ihre einzige Stärke nimmt: Sollte es der Darstellerin neben der Wehklage doch auch um eine listige Anklage gehen? »Sie will es dem Geliebten leicht machen, seine Lüge einzugestehen, damit er sie nicht mit der Erinnerung an seine armselige Schwäche zurückläßt.« Thomas Schröder
La voix humaine am 26. und 27. März um 20.30 Uhr im Saalbau Neukölln, Karl-Marx-Straße 141.
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