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Oh du lieber Augustin, alles ist hin...

■ Als Schmuddelkind und abgehalfterte Seitenstraße döst die Auguststraße im Schatten großer Magistralen

Der Auguststraße geht es ähnlich wie der Spandauer Vorstadt, die sich von der stiefmütterlichen Behandlung durch seine Ostberliner Stadtherren noch nicht erholt hat, nämlich nicht besonders. Der Mauerfall hat nur partiell das triste Straßenbild aufpoliert. Nur zögernd beziehen neue Gewerbe ihre Werkstätten. Tischler, Schreiner, Konditoren, Fliesenleger oder Elektriker, Klempner, Heizungsbauer — sie würden optimistischer dreinschauen, wenn die Auguststraßler nur das Geld hätten, um ihre Behausungen, die in vielen Fällen nur kargen sanitären Komfort oder gar keinen »Luxus« aufweisen, mit jenem auszustatten. Verblassende Aufschriften wie »Tapetenhaus«, »Tabake«, »Restaurant«, »Antiquitäten«, verborgene Sterne, Symbole in verwinkelten Hinterhöfen und Toreinfahrten geben dem Betrachter ein flüchtiges Bild vom ehemals geschäftigen Leben. Davon ist nicht mehr viel übrig geblieben, außer komische, postmoderne Werbung: Eßt Paech Brot und dergleichen...

Die Spandauer Vorstadt, ähnlich wie das Scheuenviertel, lebte vom Handwerk und war jüdisches Siedlungsgebiet. Das Haus 14/16 barg das Jüdische Krankenhaus, 1858/60 von Eduard Knoblauch erbaut. Die Anlage galt mit ihrem zurückgezogenen Krankenhaustrakt als mustergültig für ein Krankenhaus. Der rote Ziegelbau ist heute eine Schule. Ob die Kids das alles noch wissen? Auffallend viele Kiezkids gibt es hier. Sie spielen mangels Bäumen zwischen Autowracks, kaputten und ausgedienten Kanapees, zerschlitzten Sesseln, die ihre verdrossenen Oldis tonnenweise auf der Straße entsorgt haben. Seit kurzem gibts einen neuen Spielplatz, gleich an der Ecke Gipsstraße. In Richtung Oranienburger Straße steht u.a. das Christliche Hospiz, welches »das freundliche Hotel« in sich birgt. So will es jedenfalls das lila gefärbte Spruchband.

Das echte »Berliner Nachtleben« geht in Clärchens Ballhaus ab. Die Fassade des zurückgesetzten Hauses, bis zum ersten Stock neu verputzt, ziert Schultheiss-Bier-Reklame, die verrät den neuen Bacchus, der regiert. Das frühere Tanz- und Vergnügungslokal für die »kleenen Leut'«, hat trotz Renovierung immer noch ein eigenes Klientel, welches das nächtliche Balzritual zelebriert: Dabei gibt es den Vortänzer, ständige Stammgäste aber auch Neureiche und Neugierige. Ein Seelenbahnhof. Besinnlichkeit, die über der Straße ruht, rührt eher von der nahen Sophienkirche. An der Nordseite des alten Jüdischen Friedhofes gelegen, hat sie Königin Sophie 1712 der Spandauer Vorstadt gestiftet. Die Saalkirche krönt ein Barockturm (1732/34 Johann Friedrich Grael), der ist wohl auch der schönste in ganz Berlin. Auf dem Kirchhof ruhen Kriegs- und Domänenrat Johann August Bucholtz, die Dichter Karl Wilhelm Ramler, Karl Friedrich Zelter, Anna Luise Karsch. Eine Interferenz verschiedener Kunst- und Stilepochen, dem Selbstlauf des Zerfalls überlassen. Nichts besonderes sind baufällige Balkone, kaputte Türen und Fenster. Dazwischen Lichtblicke: glatte Gehwege und beleuchtete Hausnummern — was trotzdem nicht darüber hinwegtäuschen kann, daß an allen Ecken und Enden der Zerfall voranschreitet.

Neben den angestammten Kiezbewohnern belebt eine neue Gilde — Hausbesetzer —, liebenswerte revolutionäre Touristen aus Süddeutschland, die Straßenszene. Aus ihren Festungen hängen obskure Stoff- und Blechkonstruktionen aus ramponierten Fenstern. In nächster Nähe, Ecke Tucholskystraße, die Galerie Wohnmaschine. Zwischen dahinwuchernder Kiezkultur präsentiert sie schräge Kunst, so, wie mitunter eine spärliche Birke in einer der vielen undichten Dachrinnen wächst. Stilbrüche und Lückenbauten gibt es in Richtung Rosenthaler Straße, Sprüche wie Nazis raus, unerwünscht, Heil, Gudrun ist doof allenthalben überall... André Beck

Folge 4 am Mittwoch: Die Guthsmuthsstraße

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