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Assad hält die Opposition im Würgegriff

Der proamerikanische Kurs Syriens im Golfkrieg hat den Haß auf Präsident Assad gesteigert  ■ Aus Damaskus Klaus Kurzweil

Etwa 300 Schüler im Alter zwischen 12 und 19 Jahren sitzen seit Anfang März im südsyrischen Sweida im Gefängnis. Vor und während des Golfkrieges waren in ganz Syrien proirakische Flugblätter und Aufkleber aufgetaucht, die die Regierung in Damaskus zum Ausscheren aus der Anti-Irak-Allianz aufforderten. Im ansonsten ruhigen und eher konservativen Sweida lagen diese Flublätter in großer Stückzahl auf der Straße, Mitarbeiter der Geheimdienste fanden sogar welche in ihren Autos. Wegen der Verhaftung der Schüler kam es dann sogar zum Eklat zwischen den verschiedenen Sicherheitsdiensten in der mehrheitlich von Drusen bewohnten Stadt: Verhaftet wurden die Schüler von dem des Militärs, zuständig fühlt sich aber auch der Dienst für politische Sicherheit, der — bislang vergebens — die Überführung der Schüler in sein Gefängnis fordert.

Die syrische Führung versuchte, jeden Protest gegen ihre Anti-Saddam-Politik im Keim zu ersticken. In Abu Kamal, an der irakischen Grenze, wurde eine Pro-Sadam-Demonstration von den syrischen Republikanischen Garden zusammengeschossen, die dem Befehl des Präsidentensohns Bassil al-Assad unterstehen. In der Region von Deir e-Zor nahe der Grenze, deren Bewohner als besonders irakfreundlich galten, wurden präventiv 1.400 Personen festgenommen — andere Quellen sprechen von Tausenden von Verhafteten. Als Verhaftungsgrund genügte oft schon eine negative Äußerung über die USA. Die meisten der Verhafteten sitzen bis heute in den Gefängnissen.

Ähnlich erging es vielen der ebenfalls proirakischer Gesinnung verdächtigten Palästinenser. Zwar wurden offiziell einige Hundert der mehreren tausend seit Jahren in syrischen Gefängissen sitzenden Palästinenser freigelassen; nur wenige Tage danach wurden aber mindestens tausend neu festgenommen.

Ahmed (Name geändert), ein in Damaskus lebender Palästinenser, kam wenige Tage nach Kriegsbeginn aus dem Libanon zurück und wurde sofort verhaftet: „Sie haben mich eine Woche dabehalten, verprügelt und dann wieder laufen lassen — zur Abschreckung“, erzählt er. Die Geheimdienstler seien in Bussen in die zu Damaskus gehörenden Palästinenserlager gebracht worden: „Sie waren überall, beobachteten alles und horchten sogar an den Türen, was gesprochen wurde.“

Die syrische Führung versuchte während des Krieges die Bevölkerung von allen Informationsquellen abzuschneiden, die nicht hundertprozentig die offizielle Linie unterstützten. Die meisten libanesischen Zeitungen, die sonst in Damaskus gelesen werden, gab es plötzlich nicht mehr. Das syrische Fernsehen während des Krieges beschreibt ein Student als „amerikanischer als US- Fernsehen“, und das sonst von vielen Syrern gesehene jordanische TV fiel neu errichteten Störsendern zum Opfer. Ungestört dagegen blieb das im südlichen Syrien gut zu empfangene israelische Fernsehen.

Ein in Deir ez-Zawr lebendes Ehepaar wollte ihren während des Krieges geborenen Sohn Saddam nennen. Vater und Mutter wurden verhaftet, der Vater sitzt bis heute im Gefängnis, die Mutter wurde nach einigen Tagen mit kahlgeschorenem Kopf entlassen. Ein in Syrien lebender Ausländer schätzt, daß die ganz überwiegende Mehrheit der Syrer mit Saddam sympathisierte. Infolge des Golfkriegs hat „der Haß auf Assad in der Bevölkerung unheimlich zugenommen“, beschreibt er die Stimmung.

Im ganzen Land wurden während des Krieges auch etliche Geistliche verhaftet. So wurde ein Imam in Raqqa nach einer Pro-Saddam-Predigt festgenommen und wenige Tage später im syrischen Fernsehen vorgeführt. Mit offensichtlich von Schlägen geschwollenem Gesicht rechtfertigte er nun den Krieg gegen Saddam.

Doch auch die im Untergrund aktiven syrischen Oppositionsparteien machten gegen Assads Anti-Irak-Politik mobil. Der „Demokratische Nationale Zusammenschluß“, eine Verbindung von illegalen Linken und panarabischen Parteien veröffentlichte seit Februar drei Ausgaben ihrer Untergrundzeitung 'Demokratischer Standpunkt‘, in denen die syrische Regierung „im Namen des syrischen Volkes“ aufgefordert wird, aus der „antiarabischen Allianz“ auszusteigen.

Die Oppositionellen werfen der syrischen Regierung vor, die von ihr selbst propagierte Ideologie zu verraten. Khalid (Name geändert), ein Vertreter des „demokratischen nationalen Zusammenschlusses“, hält die gesamte syrische Regierung für „Lügner, Betrüger und Mörder“, die kein Stück besser seien als Saddam. Das Regime unter Hafiz al-Assad habe spätestens mit der neuen amerikafreundlichen Politik bewiesen, daß es „überhaupt keine Ideologie hat“, sagt der Oppositionelle. „Es will nur an der Macht bleiben, egal mit welcher Ideologie und mit wessen Hilfe. Gestern waren die Amerikaner Syriens Feinde, heute sind sie Syriens Freunde.“ Während des Krieges hätten Kader der regierenden Baath-Partei in Damaskus das Gebiet um die US-Botschaft abgeriegelt, empört sich Khalid: „Das muß man sich mal vorstellen: Die sozialistische arabische Baath-Patei, die vorgibt, gegen Imperialismus und Zionismus zu kämpfen, beschützt die Amerikaner!“

Khalid fordert den „gemeinsamen Kampf aller Araber gegen die Imperialisten.“ Den Aufstand der Kurden im Irak lehnt er klar ab: „Der Aufstand begann zum völlig falschen Zeitpunkt. Die Kurden haben keine Chance, ihre Ziele zu erreichen, aber sie sorgen dafür, daß der Irak restlos geschwächt wird. Und das dient nur den Interessen der Amerikaner.“

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