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Identitätsparty beim Waffenhändler

■ »Tod und Teufel« von Peter Turrini im Schiller-Theater

Turrini geht es in seiner Kolportage Tod und Teufel um Klassisches: Schein versus Sein. Doch nicht mehr die Integrität allseits reduzierter Persönlichkeiten, die Übereinstimmung zwischen öffentlicher Verlautbarung und eigenem Leben ist gefragt; ob der Bischof nicht hurt, der Friedensfürst nicht Waffen verkauft oder der Bundeskanzler im Urlaub Eisbein ißt; die produzierte Realität hat längst die Körper ihrer Protagonisten erreicht; was bei Descartes noch der eher zahme philosophische Kopfzweifel über die Wirklichkeit des einzelnen war, hat längst den ganzen Körper erfaßt, der sich spüren will, um dem Kopf schließlich die Erfolgsmeldung mitteilen zu können: Ich bin. »Ich bin«, wollen die Helden dieses Theaters sagen, während die Schweine unbeirrt weitermachen.

Ob sie lebt, vermag die schwindsüchtige Tochter des Waffenhändlers am Rande einer »Identitätsparty« nur noch masochistisch herauszufinden. »Du mußt mich erschüttern«, fleht sie den jungen Rudi Hoffmann, eine Art Jesus-als-Prolo-Hooligan- Figur, an, und bittet ihn, ihr noch einmal die Pistole an die Schläfe zu halten, und führt Lauf und Hand über Brüste, Bauch zu den Beinen, bis daß sich der erwartete Schuß löst. Wo sich alles so ununterscheidbar vermischt und ausgetauscht hat — Tod, Leben, Lust, Leid, Hell, Dunkel —, steht sie später natürlich wieder auf, denn über die Tragik, da nämlich, wo unschuldige Opfer noch helfen, die Realität zu stabilisieren, scheint die Theaterwirklichkeit Turrinis längst schon hinaus. Im Reich der »Zombies« gibt es vielleicht noch die inszenierte Klage, jedoch keine Katastrophe mehr, nach der etwas anderes beginnen könnte. Die Dialektik ist zusammengeklappt; wie die freie Marktwirtschaft hat auch ihr Theater keine Begriffe mehr von Gut, Böse oder authentischen Charakteren, die sich darüber auslassen könnten. Die Politik, die noch davon spricht, wirkt verlogen, der Dorfpriester auf der Suche nach der Sünde, die er zu finden meint, wenn er die Welt der an den Rand Gespülten mit ihnen teilt — Drogen nimmt mit den Drogennehmern, sich vom »schönen Wolf« in der Sexshow einen blasen läßt, in die aufgeblasene Vagina einer alten Frau kraucht, Geiseln nimmt mit den Geiselnehmern und sich schließlich jesusmäßig ans Kreuz nagelt —, der Dorfpriester wirkt wie die grell posierenden Sünden, die er in der »Hauptstadt« findet: naiv. Denn die Hauptsache ist, daß es funktioniert.

Das Theater von Turrini funktioniert. Auch wenn einige Vorstellungen, die er sich vom Zynismus der Politik und Wirtschaft macht, ein wenig populistisch und einfach zu sein scheinen. Da verkauft ein Waffenhändler (überaus überzeugend mimt Oliver Stern eine fast geniale Stiernackenlinie) seine neueste Errungenschaft, ein Gewehr, das nicht fehlen kann und mit hundertprozentiger Genauigkeit seinen Weg ins Auge des Opfers findet, an den Verteidigungsminister, der schmunzelnd über die gefälschten Ausfuhrpapiere hinwegsieht und — »eigentlich bin ich Pazifist« — sich doch zunächst schüchtern, dann fröhlich am Araber- und Kurdenschießen beteiligt. Da ist ein Gewehr so unfehlbar, weil es — Rassismus! — auf die Augensubstanz, die sich von Volk zu Volk unterscheiden würde, programmiert ist. Da sitzen die Spitzen aus Wirtschaft und Politik am weißgedeckten Tisch und laben sich an den Opfern aus der Dritten Welt, die zur Verzierung ein Äpfelchen in den Mund gesteckt bekommen haben.

Vielleicht wirken auch die Charaktere, die Turrini seinen Protagonisten »aus dem Volk« gibt, etwas holzschnittartig; Rudi Hoffmann, der wasserstoffblonde junge Arbeitslose, möchte zum Film und verwechselt seine Ich-bin-härter-als-alle-anderen-Wirklichkeit pistolenschwingend ständig mit der Videowelt aus Rambo etc. und ist natürlich im Innern ein sehr lieber Kerl. Die böse Supermarktwarenwelt, die sich in der Sozialwohnung der arbeitslosen Supermarktkassiererin Magda Schneider stapelt, die als Gottesmutter firmiert, wirkt ein wenig zu kunstgewerblich arrangiert, doch das Wesen des Theaters, so Turrini, liegt ja auch in der Übertreibung.

Viel Besseres läßt sich schwerlich über ein Stück sagen. Und wenn dies alles und mehr in schönem Licht und selten einprägsamen Monologen — »Der Himmel ist auf die Erde gefallen und mit ihm alle Gestirne. Sie werden verladen und in Öfen gebracht« — auch noch unterhaltend ist, so möchte man gar nicht mehr zurück zum heimischen Fernsehapparat. Detlef Kuhlbrodt

Tod und Teufel im Schiller-Theater, Regie: Peter Turrini, mit Dieter Montag, Martin Olbertz, Oliver Stern, Ulrich Noethen, Anneliese Römer u.a., Bühnenbild: Vincent Callara, Bühne: Peter Sacher, Siegfried Lahn

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