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Bremen meldet Dioxin-Alarm

Sport- und Spielplätze in der ganzen Bundesrepublik verseucht?/ Die dioxinhaltige Kupferschlacke „Kieselrot“ stammt aus der Kupfergewinnung der Nazis im hessischen Marsberg  ■ Aus Bremen H. Bruns-Kösters

Seit Wochen beunruhigen Dioxinfunde auf Spiel- und Sportplätzen in bislang selten gefundenen Konzentrationen die Bremer Bevölkerung. Nachdem zunächst immer wieder einzelne Spielplätze gesperrt worden waren, ist jetzt die Bremer Umweltbehörde dem ganzen Ausmaß und der Ursache für die Giftfunde auf der Spur.

Und die weist in das hessische Marsberg und legt die Schlußfolgerung nahe, daß in der ganzen Bundesrepublik Tausende von Plätzen Dioxin-Konzentrationen aufweisen, die weit über den vom Bundesgesundheitsamt empfohlenen Grenzwerten liegen.

In einem Schreiben an ihre Ministerkollegen in Bund und Ländern hat jetzt die Bremer Umweltsenatorin Eva-Maria Lemke-Schulte auf die Gefahr von „Dioxin-Kontamination höchstwahrscheinlich größeren Ausmaßes durch eine weitverbreitete Kupferschlacke“ hingewiesen.

Die Bremer Behörde war auf die Belastung bei Stichproben auf Spielplätzen aufmerksam geworden. Messungen hatten eine Größenordnung von bis zu 60.000 Nanogramm Toxitätsäquivalent pro Kilogramm Trockensubstanz ergeben. (Zum Vergleich: Der empfohlene Grenzwert liegt bei 100 Nannogramm.) Da sich die Umweltbehörde diese extremen Werte zunächst nicht erklären konnte, wurde das „Norwegian Institut for Air Research“ in Lilleström mit einer zweiten Untersuchung beauftragt.

Das Institut bestätigte die ersten Messungen im wesentlichen. Da ein Dioxin-Eintrag über die Luft als unwahrscheinlich galt, wurden die bei der Anlage der Plätze verwandten Materialien untersucht. Dabei stieß das beauftragte Institut auf einen Stoff namens „Kieselerde“. Bei der Durchsicht der Unterlagen stellte die Bremer Umweltbehörde fest, daß dieser Stoff zwischen 1959 und 1975 in einigen tausend Tonnen aus der Stadt Marsberg im Hochtaunuskreis bezogen wurde.

Weitere Recherchen ergaben, daß das Material bei der Kupfergewinnung in den Marsberger „Hermann- Göring-Werken“ entstanden ist. In einem mit „Heil Hitler“ unterschriebenen Betriebsbericht werden die Umweltprobleme, die bei der Kupfergewinnung im Umkreis der Hütte entstanden, drastisch geschildert. Durch die Flugasche wurden die Humusbestandteile der Ackererde zerstört, Tiere verendeten an Leberschäden durch chronische Kupfervergiftung.

Aus den Erzen wurden nur etwa fünfzig Prozent des Kupfers gewonnen, die Restschlacke landete als „Kieselrot“ auf der Halde und wurde dann ab Ende der fünfziger Jahre von der Straßenbaufirma Möllmann wahrscheinlich in der ganzen Bundesrepublik vermarktet.

In dem Brief der Umweltsenatorin heißt es: „Die in der Stadtgemeinde Bremen eingebaute Menge dürfte sich in der Größenordnung von zirka einem Tausendstel der insgesamt vermarkteten Menge bewegen.“

Die Folgen des Dioxin-Fundes lassen sich derzeit noch nicht absehen. In Bremen wird erwogen, bis zu 40 Sport- und Spielplätze, aber auch Laufbahnen und Wege durch Grünanlagen zu schließen.

Auch Bundesumweltminister Klaus Töpfer hat der Alarm aus Bremen offensichtlich beunruhigt. Seine Beamten verabredeten sich umgehend mit der Bremer Behörde, um sich über die vorliegenden Erkenntnisse im Detail unterrichten zu lassen.

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