: Dreieinhalb m2 Kauffläche pro Nase
Überall auf der grünen Wiese sprießen riesige Einkaufsparadiese aus dem Boden/ Bald Weltniveau in Regalkilometern/ Gemeinden konkurrieren um Investoren/ Kleinstädtischer Handel gerät in Not ■ Von Steve Körner
Halle. Alle wollen sie bauen lassen, die Bürgermeister und Gemeinderäte zwischen Dessau und Zeitz. Möglichst groß und möglichst schnell. Jedes Dörfchen, das nur ein halbwegs günstiges, sprich: in der Nähe einer Bundesstraße oder besser Autobahn gelegenes Stück Land zur Verfügung hat, weist es in den neuen Flächennutzungskonzeptionen garantiert als „Gewerbegebiet“ aus. Womit die meisten Gemeindevertreter zuallererst mal Platz für großzügige Einkaufscenter meinen.
In einigen besonders lukrativ eingeschätzten Ecken des Südens von Sachsen-Anhalt stehen die West-Interessenten bereits Schlange. Ihr Ziel ist offensichtlich, die bislang einkaufsflächenmäßig völlig unterversorgten Ossis möglichst schnell auf Weltniveau in puncto Regalkilometer pro Kopf zu heben.
Und die unerfahrenen Gemeindepolitiker nicken ergeben. Eingeschüchtert durch die Drohung des Anbieters, in die stets „ebenfalls interessierte“ Nachbargemeinde abzuwandern. Überrollt vom Argument, daß den armen FNLern im Vergleich zu den Altbundesbürgern bloß ein Sechstel an Verkaufsfläche zur Verfügung steht. Nicht zuletzt aber lockt die Aussicht auf neue Arbeitsplätze im Ort und auf das Geld, das dann in die Gemeindekassen fließt.
Beispiel Großkugel bei Halle: Das Örtchen mit seinen sechshundert Seelen plant auf der grünen Wiese am Dorfeingang ein Gewerbegebiet von runden 340 Hektar Fläche. Oder die Gemeinde Güntherdorf, die es mit viel Glück, Geschwindigkeit und einem Gutteil Unterstützung durch den Westberliner Kaufmann Krieger fertigbrachte, in der „gesetzlosen“ Zeit zwischen Währungsunion und Einheit die Fundamente für ein 90.000-Quadratmeter-Einkaufsparadies zu gießen.
Den Landratsämtern bereitet das unkontrollierte Wuchern großer Supermärkte links und rechts der Ausfallstraßen erhebliches Kopfzerbrechen. Demnächst könnten, nach aktuellen Schätzungen, um Halle herum dreieinhalb Quadratmeter Verkaufsfläche pro Einwohner zur Verfügung stehen — etwa dreimal mehr als in den alten Ländern. Auch Sachsen-Anhalts Wirtschaftsminister Horst Rehberger hat schon von dem Problem gehört. „Wir weigern uns strikt, diese Vorhaben zu fördern“, verkündete der FDP-Mann kürzlich forsch. Aber die Zukunft hat schon begonnen, und sie bedeutet über kurz oder lang das Ende für die kleinen innerstädtischen Läden und Kaufhäuser, denen durch die zweite Mietpreisrunde ohnehin die Daumenschrauben bis zum Knochenknacken angezogen werden. Andererseits natürlich haben die Leute im Osten ein Menschenrecht auf billige Butter und preiswertes Büchsenbier im Sixpack wie die im Westen auch.
Die Landesämter und Regierungsbezirksbehörden sind folglich in der Zwickmühle. Gebietsentwicklungsplanungen gibt es noch nicht, und Argumente wie die, daß die Verlagerung des Handels aus den Gemeinden ins freie Gelände den Teil der Bevölkerung benachteilige, der nicht motorisiert ist, ziehen nicht. Viel zu routiniert wissen die Vertreter der Kaufhauskonzerne und Ladenketten die positiven Effekte herauszustreichen, die ihre Großmärkte schon in absehbarer Zeit für die Gebietsentwicklung haben werden. Daß die Vorstellungen der Investoren manchmal weit überzogen sind und etliche der nagelneuen Supermärkte möglicherweise schon bald gähnend leer dastehen, ist ein anderes Kapitel.
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