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Kein Phönix aus der Asche auferstanden

■ Zwei Jahre nach dem Gebirgsschlag im Kaliwerk in Völkershausen darf über die wahren Ursachen geredet werden/ Ehemalige BRD sollte für das Unglück die Schuld und die Kosten tragen/ Hohe Förderquoten verursachten mangelnde Bergsicherheit

„Katastropheneinsatz“ hieß es zum Marschbefehl für die Kompanien des Straßenbauregimentes in Neuseddin, Beförderungsmöglichkeit für die Offiziere, die diesen Einsatz leiten sollten. So setzte man sich in Bewegung, um im gebirgsschlaggeschädigten Völkershausen „aufzuräumen“. Es begann der Aufbau der 1.350 Einwohner zählenden Rhön- Gemeinde am 26. März 89, zwei Wochen nach dem Beben, das die Stärke 5,5 auf der Richterskala erreicht hatte.

Eine großangelegte Solidaritätsaktion sollte Aufbaubrigaden aus der gesamten Republik in das Katastrophengebiet führen, um der Welt die Geschlossenheit der Bevölkerung der DDR zu demonstrieren. Die Weisung des Politbüros, den Aufbau zum 40. Jahrestag der Republik abzuschließen, wurde zum propagandistischen Kampf der Bauleute gegen die Zeit. In „groben Zügen“ sollte die Aufbauaktion abgeschlossen sein, und diese groben Züge behielt sie auch bei. So begann sie mit dem Abriß der Klinker- und Fachwerksubstanz im Epizentrum Völkershausen und fand mit dem Totalabriß der Kirche ihren würdigen Höhepunkt. Statt dessen wurden im Stil sozialistischer Umgestaltung Zweckbauten, Fertigteilwohnblocks und EWs (Einfamilienwohnhäuser) errichtet, die die Gemeinde wie Phönix aus der Asche wieder auferstehen lassen sollte.

Damals wurde die Ursache des Bebens, entgegen vorhandenen Expertengutachten, mit der Verpressung der beim Kaliabbau anfallenden Laugen in den benachbarten hessischen Kaliwerken erklärt, die zu „seismischen Spannungszuständen“ führen. Damit war auch klar, daß die ehemalige Bundesrepublik an der Katastrophe schuld war und für alle anfallenden Schäden aufkommen sollte.

In den ostdeutschen Kaliabbaugebieten wurde das Problem der anfallenden Laugen auf einfachste Weise gelöst, denn wozu hat man direkt vor der Haustür einen Fluß Werra, der noch dazu schnell aus einheimischen Territorium verschwindet? „Aus den Augen, aus dem Sinn“ lautete die Devise der für Devisen Zuständigen im Ministerium für Bergbau. Eben diese Verantwortlichen drängten auch darauf, die Förderquoten hochzuhalten, da Kalisalz immerhin auf dem internationalen Markt ebenfalls für die so dringend benötigte konvertierbare Währung absetzbar war. Darunter litt natürlich die Bergsicherheit; die vorgeschriebene Größe der nicht abzubauenden Stützpfeiler aus eben jenem begehrten Kalisalz wurde ständig unterboten, und so war es nur eine Frage der Zeit, wann es zu jener Zäsur kommen sollte, die das Leben der Bewohner in der Rhön-Gemeinde mit einem Schlage verändern sollte.

Daß der Gebirgsschlag um 14.01 Uhr, unmittelbar nach einer Sprengung in der Kaligrube „Ernst Thälmann“, stattfand (die Uhr auf dem Dorfplatz blieb auf dieser Zeit stehen und verblieb dort noch geraume Zeit als stummer Ankläger, bis auch sie der Abrißwut Tribut zollen mußte), schien bei der Begründung der Unglücksursache nicht weiter zu stören. Auch schien es die Bewohner von Völkershausen nicht sonderlich zu verwundern, die doch auch zum größten Teil in den diversen Kaligruben Anstellung gefunden hatten. Jedenfalls so lange, wie ihre Häuser neu errichtet wurden und so mancher seinen Schnitt machte. Als die neue Demokratie der Meinungsfreiheit Tür und Tor öffnete, machten sich die Betroffenen daran, eine „Bürgerinitiative 13.März“ zu gründen und erzielten bei den Gemeindewahlen im Mai 90 über 60 Prozent. Ein wenig spät erscheint der Aktionismus der Bergbewohner in Anbetracht der Tatsache, daß die Verursacher des Bebens die Kaligruben in der Region schließen.

Noch zwei Jahre nach dem Gebirgsschlag, bei dem sich ein etwa acht Quadratkilometer großes Terrain um zwanzig Meter senkte, bewegt sich der Grund unter den Füßen der Bewohner, und sicher nicht nur diesem Boden fehlt die sichere Standmöglichkeit für die, die da hin- und herschwankten. snoopy

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