: Scharenweise wanderten die CDU-Stammwähler zur SPD
■ Die infas-Wahlanalyse zeigt tiefgreifende Verluste der CDU in Rheinland-Pfalz/ Bei den 25- bis 45jährigen beträgt der SPD-Vorsprung über 20 Prozent
Die Bonner Regierungspolitik und die internen Führungsprobleme der rheinland-pfälzischen CDU führten zu dem für die CDU verhängnisvollen Ergebnis bei der Landtagswahl in Rheinland-Pfalz. Zu diesem Schluß kommt das Bonner Institut für angewandte Sozialwissenschaften (infas) in seiner Analyse für die Deutsche Presse-Agentur. Die Meinungsforscher schreiben unter anderem:
Nach 44 Jahren verlor die CDU Regierungsmacht und -mehrheit. Mit 38,7 Prozent landete sie in einem Rekordtief. Auch die SPD erreichte mit 44,8 Prozent eine Rekordmarke. Bislang war die CDU nur einmal unter die 40 Prozent gerutscht. Nur dreimal zuvor bei elf Wahlen zum rheinland-pfälzischen Landtag war es den Sozialdemokraten gelungen, die 40-Prozent-Grenze knapp zu überspringen. Diesmal konnten sie ihr bislang bestes Resultat noch um 2,5 Prozentpunkte übertreffen. Der hohe CDU-Verlust von 6,4 Punkten und entsprechende Gewinne der SPD von 6,0 Punkten führten für die beiden großen Parteien zu einem Platzwechsel. Bei den kleinen Parteien bewegte sich dagegen wenig.
Die Wahlbeteiligung war diesmal mit 73,9 Prozent geringer als bei allen früheren Landtagswahlen in Rheinland-Pfalz. Sie war aber im Vergleich mit anderen Ländern nicht besonders niedrig. In allen Landtagswahlen seit Mai 1990 (außer Berlin) waren weniger als 75 Prozent zur Wahl gegangen. Die Ergebnisse der Wahltagsbefragung von infas zeigen, daß die SPD unter Rudolf Scharping nicht nur ihre Stammwähler in der Arbeiterschaft mobilisieren konnte, sondern auch bei den Angestellten und Beamten stärker war als die CDU. Sie hat damit von allen Seiten zugelegt. Gerade in diesen strukturschwachen, randständigen Gebieten sahen offenbar viele Wähler in der SPD die attraktivere Alternative. In Umfragen vor der Wahl wurde der CDU von den Wählern zwar in der Wirtschaftspolitik allgemein die größte Kompetenz zugesprochen. In Fragen der Regional- und Strukturpolitik dagegen war das Vertrauen in die Fähigkeiten von SPD und CDU etwa gleich hoch. Wenn nur der Zeitraum seit der Bundestagswahl oder der letzten Landtagswahl betrachtet wird, geraten die langfristigen Entwicklungslinien leicht aus dem Blick. Sie haben das Ergebnis stark geprägt. Daß die CDU-Verluste und die SPD-Gewinne in den Hochburgen der CDU mit jeweils über acht Prozentpunkten besonders kräftig ausfielen, ist kein Novum. Seit Jahren haben die Christdemokraten in den Landesteilen am meisten Stimmen verloren, wo sie traditionell über satte Mehrheiten verfügten: im katholisch-ländlichen Raum. So liegen die Verlustraten der CDU seit 1975 im Regierungsbezirk Trier bei etwa 25 Prozentpunkten, die Gewinne der SPD bei rund 15 Punkten. Im Landkreis Daun beispielsweise ist die CDU seit 1975 von stolzen 76,3 auf 50,7 Prozent abgesackt, die SPD von 19,4 auf 35,6 angestiegen. Der CDU-Vorsprung liegt dort nicht mehr bei 57, sondern nur noch bei 15 Punkten. Die traditionellen Bindungen im christlich-demokratischen Milieu haben sich gelockert. In der Eifel und im Westerwald, an Ahr und an der Mosel gibt es heute einen „offeneren“ politischen Markt als früher. Die latente Unzufriedenheit der Bauern und Winzer erhöht die Distanz zur Partei, die in Bonn und in Mainz das Sagen hat.
Die SPD lag bei dieser Wahl in allen jüngeren und mittleren Altersgruppen vor der CDU, lediglich für die Wählerinnen und Wähler über 60 Jahre ist die CDU attraktiver. Über 20 Punkte beträgt der SPD-Vorsprung in der Generation der 25- bis 45jährigen. Bei den Jungwählern (bis 24 Jahre) erhielt die SPD diesmal 43 Prozent, die CDU 30 Prozent, die Grünen 16 und die Liberalen knapp 7 Prozent der Stimmen.
Eine Besonderheit dieser Wahl ist die Tatsache, daß die geringere Mobilisierung kaum Einfluß auf das Wahlergebnis hatte, sondern alle Parteien betroffen hat. Diejenigen CDU-Anhänger, die von der Politik ihrer Partei in Bonn und/oder Mainz enttäuscht waren, suchten diesmal ihr Heil nicht bei den Liberalen oder bei den Republikanern, sie blieben auch nicht aus Protest zu Hause: sie sahen vielmehr in der langjährigen Oppositionspartei eine Alternative. Per saldo hat die CDU rund 60.000 Stimmen an die SPD abgegeben. dpa
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