: The Echo
■ Dort, wo der Zug kurz verschnauft
Manchmal treten Gemeinsamkeiten noch so disparater musikalischer Gruppierungen hervor, wenn man sie völlig unvermittelt und sporadisch an Dritten feststellt. Sie fallen einem nachgerade zu. Und das Staunen ist umso größer. Haben The Cure und die Wipers wirklich Ähnlichkeiten? Ist »Pornography«, die englische Variante, tatsächlich der Vorläufer der »Land Of The Lost«? Kann aus Leid und Verzweiflung gar Psychedelia werden? Hat Neil Young womöglich schon alles darüber gesagt und ist dennoch von Iggy Pop einfach nur übertönt worden? Fragen über Fragen...
Eines scheint mit Sicherheit auf The Echo aus dem viel zu kleinen Städtchen Spelle bei Rheine, da wo der Zug von Berlin nach Hoek van Holland kurz verschnauft, ehe er flugs die Fahrgäste nach London trägt, zuzutreffen: von allen englischen Post-Punk-Gothic- Depro-Bands der 80er Jahre haben sie sich nur die besten herausgepickt. Cure, als die Jungen noch nicht weinten, The Sound in ihrer Frühzeit, wahrscheinlich auch Echo & The Bunnymen, bevor »The Cutter« die hohen Erwartungen am Indiehimmel niedermähte, Killing Joke und Chameleons würden sich über eine Nennung als Patenonkel wahrscheinlich genauso freuen, und so weiter und so fort. Und das fröhliche Bandnamensammeln abzuschließen, sei mit einem ganz großen Sprung über den noch größeren Teich an eben jene Wipers erinnert, die fernab der Londoner und Liverpooler Gruften auch ganz munter traurig waren.
Und nun spielen sich eben diese fastfriesischen Echo auf genau dieser Wellenlänge ein. Mit einem einzigen kleinen Kunstgriff, genannt Snareschlag auf die 2 und die 4. Eine Taktkontur, die bei selbem Maß so total weit entfernt von dem selben Schlag im Soul ist, indem der Beat von einer treibenden Basstrommel begradet wird und doch zur gleichen aufputschenden Wirkung führt. Statt Off-Beat Up-Tempo. Das haben eben seit den frühen Cure nur wenige, aber die meisten der hier oben genannten Bands beherzigt. Im Flangerklang des Basses von The Echo liegt zwar mehr England verwurzelt, aber die Gitarrenmelodien wenden den Blick das eine ums andere Mal an die kalifornische Küste. Hier und da — der Tin nimmt wie die Drogen seinen Lauf, sägt im Gemüt, klafft im Herzen auseinander und kreist ununterbrochen auf halluzinogenen Spiralen. Das ist nicht eben mal nur so aus Langeweile in der ländlichen Ödnis entstanden, da ist soviel vernichtende Wüstenunendlichkeit drin, wie sie von elefantenbehosten Mancunians und von metallickenden Bay Area-Bermudas peinlich genau sorgfältig verdrängt wird. The Echo spielen das, was trotz aller Trends einfach so dasteht, ein leeres Plateau, das sich nach wie vor nicht mit Worten wiedergeben läßt, das Töne aber annähernd umranden. Der Sturz aus allen Wolken gelingt vielleicht wirklich heute noch am ehesten im Kuckucksheim der Provinz. Harald Fricke
Um 21 Uhr im Osten
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