: Die Friedensritter der Landstraße
Das größte aller Amateur-Radrennen, die internationale Friedensfahrt, wird auf zwei Länder reduziert und sieht trotz Aufwertung zum Weltcuprennen einer düsteren Zukunft entgegen ■ Aus Polanica Hagen Boßdorf
„Den Hunderttausenden, die die Strecke durch Volkspolen, die CSR und die Deutsche Demokratische Republik säumen, und den Millionen aus allen Ländern, die am Radio fiebern — die Friedensfahrt erscheint ihnen, als wäre diese gewaltige Sportdemonstration für Völkerfreundschaft und Verständigung unter den Nationen seit eh und je ein fester Bestandteil ihres Lebens.“
Die Friedensfahrt, 1954
Den Sportfan unter den DDR-Menschen beschäftigte nichts so unmittelbar wie das Gestrample und Getrete der „Friedens-Ritter der Landstraße“. Keine Olympischen Spiele, keine Fußball-Weltmeisterschaften sorgte für soviel direkte Anteilnahme und Begeisterung wie die jährlich im Mai durch die DDR, die Volksrepublik Polen und die Tschechoslowakei führende „Internationale Radfernfahrt für den Frieden“, die sozialistische Alternative zur Tour de France.
Kinder bastelten kilometerlange Wimpelketten in den Durchfahrtsorten, Jugendliche radelten wie wild bei den „Kleinen Friedensfahrten“ in allen Städten und Dörfern, Erwachsene fieberten mit Boden, Ludwig oder Ampler, die als Sieger der größten Amateurschleife der Welt zu modernen Helden wurden. Prominentester unter den DDR-Sportlern wurde bei allen Umfragen Gustav-Adolf „Täve“ Schur. Beliebtester aller Sportreporter im sozialistischen Deutschland war Heinz-Florian Ortel. Beide haben sich gegenseitig berühmt gemacht — auf dem „Course de la paix“ zwischen Prag, Warschau und Berlin.
„Berlin erwartet die Friedensfahrer am 6.Mai 1952 zum ersten Mal, die Mannschaft der DDR in den blauen Trikots. Ein unbeschreiblicher Festtag an der Spree. Die Straßenränder sind dicht gesäumt, das Stadion lange ausverkauft.“
Jedesmal im Mai, 1986
In diesem Jahr vervollständigte die DDR das Veranstaltertrio. Das SED- Organ 'Neues Deutschland‘ gesellte sich zu seinen Bruderzeitungen. Die Etappen nach Berlin wurden fortan zur besonderen Bewährungsprobe der ostdeutschen Sextetts. Denn mit großer Freude und guten Überblick übers versammelte Volk versammelte sich in jedem Jahr die Politbüroriege auf der Berliner Ehrentribüne und ließ sich nach dem sportlichen Schauspiel gerne mal den Sieger kommen. Natürlich war es den Landesfürsten am allerliebsten, einen einheimischen Radler zu beglückwünschen. Derart angespornt spurteten die DDR-Fahrer in ihrer Hauptstadt ganze 17 Mal zum Etappensieg, schnurstracks in die Arme der Edelfunktionäre.
Diese Chance habe sich die neuen Machthaber entgehen lassen, denn nach 39 Jahren haben Polen und die CSFR ihre 1948 gegründete Zwei- Länder-Fahrt zurückerhalten. Die Autofahrer hierzulande bleiben in diesem Mai von Stau beschwörenden Radfahrerschlangen verschont. Die Deutschen hatten kein Interesse mehr an der „Fahrt für den Frieden“. Ein eilig gebildetes Protestkuratorium um den zweifachen Sieger der Tour, „Täve“ Schur, konnte den Bund Deutscher Radfahrer in keiner Weise beeinflussen, sich etwas engagierter an der erhaltung des Traditionsrennens zu beteiligen. Die Entsendung eines zwölfrädrigen Teams war das höchste der völkerverbindenden Gefühle.
„Ich sitze am Straßenhang.
Der Fahrer wechselt das Rad.
Ich bin nicht gern, wo ich herkomme.
Ich bin nicht gern, wo ich hinfahre.
Warum sehe ich den Radwechsel
Mit Ungeduld?“
Friedensfahrt-Fan Bertolt Brecht
Das leidenschaftliche Interesse am profanen Radsport hat nachgelassen, bei den Dichtern wie bei ihren Lesern. Dabei strampeln die verbliebenen deutschen Fahrer überraschend flott im Vorderfeld des Peletons mit. Etappensieger Frank Augustin aus Frankfurt an der Oder schmückte gar das gelbe Trikot des Spitzenfahrers.
Nach vier strapazenarmen Tagen geht es nun jedoch ins polnische Riesengebirge nach Polanica, dem „L'Alpe-d'Huez der Friedensfahrt“. In einem bergigen Zeitfahren und einem hügeligen Rundstreckenrennen erwarten die Experten die Vorentscheidung der 44.Tour. DDR-Wundertrainer Wolfram Lindner kann als neuer Bundescoach beim Hoffen auf ein flüssig-flottes Treten seiner Pedaleure in einem überzeugt sein: Das erstmals vereinte deutsche Team hat seine historische Mission erfüllt:
„Die Radfernfahrt für den Frieden beschert nicht nur sportliche Höchstleistungen, sondern gibt der Menschheit darüber hinaus die Hoffnung, daß der Spaltung der Welt in Ost und West ein Ende bereitet werden kann.“
Die Friedensfahrt, 1953!
So soll es denn sein — auf den europaweiten Straßen des Friedens.
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