: Spekulationen über Pöhls Rücktritt
■ Am Donnerstag will der Bundesbankchef eine Erklärung abgeben/ Frankfurter Banker werten ausbleibendes Dementi als Hinweis auf Rücktrittsabsichten/ In Bonn gibt man sich unwissend
Berlin (taz/dpa/ap) — Am Donnerstag will er sich erklären: ob er seinen Chefsessel in den Bundesbank in der zweiten Jahreshälfte einem anderen überläßt. Damit reagierte Karl Otto Pöhl auf die Spekulationen, die ausgelöst durch zwei Artikel in den Springerblättern 'Welt‘ und 'Bild‘ und in der 'Financial Times‘ in den Banken und in Bonn gleichermaßen diskutiert werden. Die Frankfurter Banker werteten das Ausbleiben eines glatten Dementis als Hinweis darauf, daß der Notenbankchef tatsächlich seinen Hut nehmen will. In Bonn gab man sich erst einmal ahnungslos. Pöhl habe dem Bundeskanzler „gar nichts mitgeteilt“, sagte Regierungssprecher Dieter Vogel vor der Bundespressekonferenz. Und eine Sprecherin der Bundesbank beschied den Fragenden: „Wir sagen dazu nichts.“ Aus dem engeren Umkreis Pöhls hieß es: „Das ist nicht sein Stil.“
Gerüchte über einen Rücktritt des Bundesbankpräsidenten, die mehrfach von den Börsen in London und Tokio ausgegangen waren, hatten nach einem überraschenden Vier- Augen-Gespräch zwischen Pöhl und Bundesfinanzminister Theo Waigel (CSU) am vergangenen Dienstag neue Nahrung erhalten. Auftrieb erhielten sie jetzt durch den Informationsdienst 'Czerwensky Intern‘. Danach soll der Bundesbankpräsident nicht nur Waigel, sondern auch den Kanzler und den Bundespräsidenten von seinen Rücktrittsabsichten informiert haben.
In Frankfurter Bankenkreisen war vermutet worden, zwischen Pöhl und Bonn könnten Spannungen über das Tempo für die Europäische Währungsunion, die Neugestaltung von Bundesbank und Landeszentralbanken sowie die preis- und zinstreibende Steuer- und Haushaltspolitik der Bundesregierung entstanden sein. Andere argumentierten dagegen: Pöhl habe auch bei der ihm vor Jahresfrist aufgezwungenen deutsch-deutschen Währungsunion seinen Posten nicht verlassen und den von Bonn vorgegebenen Umtauschkurs mitgetragen.
Außerdem steht in Frankfurt die Neuordnung der Bundesbank im Zuge der deutsch-deutschen Währungsunion an, die gleichfalls für Zündstoff sorgt. Während Pöhl den Zentralbankrat als oberstes Notenbankgremium verkleinern möchte, streben die Länderregierungen eine Vergrößerung an. In diesem Streit soll Bonn schlichten. Waigel strebt einen Kompromiß an, der nicht nur in den neuen, sondern auch in den alten Ländern eine Zentralbank für mehrere Länder schaffen und damit auf jeden Fall deutlich unter 16 Zentralbanken der Länder bleiben möchte. Die in London erscheinende 'Financial Times‘ hatte am Freitag berichtet, daß Pöhl Kollegen gegenüber geäußert habe, daß er zurücktreten wolle, wenn er sich bei der Neuordnung des Zentralbankrates nicht durchsetzen könne.
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