Die Ochsentour

■ »Ugly American Overkill« im Ecstasy und »Gestörtes Deutschgeräusch« in der Zitadelle

Wenn Everett True, schwer umstrittener Starschreiber beim englischen »Melody Maker«, nicht müde wird, konsterniert zu behaupten: »Look, kids, Rock is stone-dead«, was ja auch stimmt, sieht man sich in England danach um (ich weiß, dieses Statement hatten wir Anfang der 80er Jahre auch, allerdings in völlig anderem, positiven Kontext), und er im selben Atemzug ein, zwei wenige Ausnahmen herauspickt und über den grünen Klee lobt, haben wir etwa Situation und Silemma am Punkt. Ami-Bashing ist Kultur in England, denn die Amis kommen daher, fackeln nicht lange und spannen England die verehrte Braut »Rock« aus. Denn Rock ist die stolze Schlampe, die nicht lange im Abseits auf den kultivierten Singer/Songwriter Grübelbleichhans wartet. Und so ist die Single der Woche im »Melody Maker« eine Frauenband aus Minneapolis und heißen Hole, die mit »Dicknail« den guten Everett ins Schleudern bringen. Phukin' USA.

Beschert wird uns das alles, was wir nicht können, von US-Labels wie SST (immer noch), Sub Pop und Amphetamine Reptile Records. Letzere werden hierzulande vertrieben von Glitterhouse in Frieslandsbergistal und nun steht ein wahres Tourpaket an. Tom Hazelmeyer's (Chef von Amphetamine Rec.) Halo Of Flies plus vier seiner Schützlinge: God Bullies, Helmet, Surgery, Tar. Glitterhouse rührt die Werbetrommel und macht uns den Braten mit Billig-Compilation schmackhaft.

Fast dreißig Mann Bandmembers alleine karren nun also mit Bussen über den Kontinent, und das Info erzählt die Einzelheiten. Mengenrabatt bei PanAm, keine Hotels, geschlafen wird im Bus, Duschen ist bei diesen Preisen überhaupt nicht drin (urg!), zum Frühstück gibt's wahrscheinlich nur Pommes, »that's what's called being on the road«. Abenteuer oder Tortur. Winterschlußverkauf oder fünffache Bescherung. Wer das Chaos der BID-Veranstaltungen kennt, kann sich vielleicht ein Bild davon machen. Jede Band 30 Minuten, die Umbaupausen sind weit länger, vom Sound ganz zu schweigen. Und hopp, der nächste wird auf die Bretter geschoben. Das klingt nach verdammt viel trinken, viel Langeweile, wenig Spaß und wenig Qualität. Man kann nur hoffen, daß die Tortur wenigsten halbwegs reibungslos über die Bühne geht, für's Publikum und die Akteure. Und daß bei fünffacher Bandanzahl auch das erhoffte fünffache an Publikum durch die Pforten der Wahrnehmung strömt. Denn jede einzelne Band ist es wert, gesehen zu werden.

Ähnlichen Festivalcharakter hat das Open Air auf der Freilichtbühne der Zitadelle Spandau, allerdings spielen hier sechs deutsche Gruppen auf zwei Tage verteilt. Die Berliner Fleischmann agieren wie Blumfeld und Cpt. Kirk & an beiden Tagen. Nur einmal spielen Depp Jones (am Samstag) und Die Suurbiers (Sonntag).

Grungigen, zähen Slowmetal mit dramatischen Darmverknotungen liefert euch Fleischmann, den Kalifornischen Melvins nicht unähnlich, denn wenn soundloud, dann muckegut.

Blumfeld, das Wunder Hamburgs, spielen femininen Beat, will heißen filigranen Mantrablues, soll bedeuten, lyrisch zart, ich meine Poesie und deutsche Textmonologe. Jochen Distelmeyer singt, mit Diktiergerät auf der Wiese liegend, an Sommernachmittagen unter dem Apfelbaum, ächz, was sag ich da. Aber es ist wirklich unglaublich, wie natürlich perfekt Blumfeld daherkommen, ich fange an zu stottern, mir fehlen die Worte. Was man liebt, kann man nicht rechtfertigen, so ist es. Sie sind wunderbar, zuerst dachte ich an die zweite LP von The Cure »A Forest«, dann an die zweite Seite der Swell Maps LP »Jane From Occupied Europe«, aber Blumfeld — haben sie überhaupt etwas damit zu tun? — gehen viel weiter. Ihre Songs sind cool, locker und warm wie sonst nichts aus deutschen Landen. Versteht mich richtig, Leute, dies ist kein Hype. Ich rede davon, daß diese Band endlich ihre Debut-LP fertigkriegt. Denn hier ist es: Offen, eigen, stur, perfekt unperfekt, straight, selbstbewußt, traurig, ehrlich, lustig, unprätentiös, nicht künstlich kompliziert, köstlich halt großartig. Nenn es Soul.

Tobias Levin von Cpt. Kirk &, geistiger Blutsbruder von Blumfeld, leiht sich Jochen Distelmeyer schon mal aus für seine Band, z.B. auf dem Sampler »Geräusche für die 90er«, wo Distelmeyer in Kirk's »Bad Saalschlacht« mit seinem Diktiergerät fuchtelt. Jetzt aber Text: »Ein Lied mehr/ ist eine Tür/ ich frag mich bloß wofür/ denn das, was dahinter liegt/ scheint keinen Deut besser/ als das hier« (aus »Du hast Ballast« von Blumfeld) Peter K.

»Ugly American Overkill«-Festival mit Halo Of Flies, Tar, Helmet, God Bullies und Surgery am Sonntag ab 21 Uhr im Ecstasy

»Gestörtes Deutschgeräusch« am Samstag und Sonntag jeweils ab 20 Uhr auf der Freilichtbühne der Zitadelle Spandau (Siehe auch Termine!)