: Kain und Abel im 19. Jahrhundert
■ Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft: Roulette und Religion
Die Abmachung lautete: morgens, 8.30 Uhr, an einer Stelle zwischen den Dünen, von der man aufs Meer sieht. Zwei Männer, mit Pistolen bewaffnet, stellen sich gegeneinander auf, bereit, sich umzubringen, und gedeckt von der Konvention. Sie feuern „auf zehn Schritt Distanz“. Einer verliert das Leben, der andere den Sinn davon. Gerettet wird eine dubiose Moral, die einen wie den Ehemann Effi Briests nicht als Revolverhelden, sondern als Ehrenmann dastehen läßt.
Kain und Abel im 19. Jahrhundert: Die Zeremonie bekleidet und begrenzt die nackte Gewalt mit vollendeten Formen und strengen Reglements. Die feudalen Etiketten, die sich das Bürgertum mit Begeisterung anheftete, haben die Rauflust durch die Zivilisation gebracht, bis zur Mitte dieses Jahrhunderts, bis Hitler die Kleinkriege zwischen Männern im Hinblick auf größere, für die er jeden Mann brauchte, endgültig unterband.
Das Duell, von heute aus gesehen, ist eine Lächerlichkeit, eine Lappalie, ein Casino- und Herrrenreiterirrsinn. Das ist die eine Seite. Auf der anderen bildet das Duell eine entscheidende Stelle männlicher Sozialgeschichte. Es ist die Zulassungsstelle für unkultivierte, unangemessene und unbewußte Affekte, die es Männern erlaubt, diese in Verkehrsformen zu bringen, für die die staatliche Rechtsprechung nichts übrig hat. Und die Stilisierung macht den Umgang mit den Zwängen der Kultur immer noch behaglicher als die Sublimierung. Wer stirbt oder verletzt wird und wer unbeschadet bleibt, ist dem Zufall überlassen. Es hat um die Jahrhundertwende auch einmal einen einäugigen, linkshändigen Studenten gegeben, der einen Offizier angeschossen hat, während ihm nichts passierte. Dem Zufall überlassen, heißt vor allem: dem vernünftigen Gerechtigkeitssinn entzogen. Der beleidigte Herausforderer kann mit einem Streich, mit einem Schuß, auch noch das Opfer sein.
Das Duell, symmetrisch angelegt, ist keine Strafmaßnahme und nur bedingt ein Akt der Rache, es ist vielmehr: ein Ritual des Ausgleichs, der, ganz wörtlich als Be-friedigung verstandenen, Satisfaktion. Die Wunschphantasie, die das Duell begleitet, ist die Wiederverbrüderung. Deren Voraussetzung aber ist die beiderseitige Bereitschaft zum Blutopfer, auch wenn es nur um Kinkerlitzchen geht. „Nur das Risiko des Todes konnte jenen kathartischen Effekt hervorbringen, der die eigentliche Substanz des Duells ausmacht“ (Frevert).
Das ist so schwer — und ungern — zu verstehen: Die Mischung aus Roulette und Religion, aus Spitzfindigkeit und dumpfem Wahn. Es ist eine Mischung nach deutschem Geschmack. Die französischen Männer gingen im 19. Jahrhundert dazu über, das Duell als reines Gesellschaftsspiel zu betreiben. Die englischen Männer hatten den praktischen Einfall, sich die verletzte Ehre mit Geld auszuzahlen. Eine Sitte, die Theodor Fontane verabscheuungswürdig fand und verächtlich eine miese „Monetenzahlerei“ nannte. Es muß ihn ein Schauer erfaßt haben bei dem Gedanken, sein Roman wäre damit geendet, daß Crampas für seine Affäre mit Effi eine gute Summe an Instetten nach Berlin schickt — und die Geschichte so einer ganz anderen Wahrheit nahe gekommen wäre.
Nein, es geht im deutschen Duell, dem „Ehrenzweikampf“ unter Männern, um die, von Thomas Mann so genannte, „radikale Situation“, obwohl er, spezialisiert auf den feinen Unterschied zwischen Formulierung und Praktizierung, Settembrini im Duell gegen Naphta in der radikalen Situation in die Luft ballern ließ. Vor allem müßten gerade Intellektuelle, die sich vom „Urstande der Natur“ besonders weit entfernt hätten, die Disziplin aufbringen, den „Ausweg“ des „Waffengangs“ nicht zu vermeiden. Mann: „Es ist die Sache jedes Mannes, sich in aller Entfernung vom Natürlichen dieser Lage gewachsen zu halten. Er kann täglich in sie geraten. Wer für das Ideelle nicht mit seiner Person, seinem Arm, seinem Blute einzutreten vermag, der ist seiner nicht wert, und es kommt darauf an, in aller Vergeistigung ein Mann zu bleiben.“
Ungeheure Sätze — geschrieben vor dem Ersten Weltkrieg und weit zurückfallend hinter die erregten Debatten um Sinn und Unsinn des Duells, die die Aufklärungsarbeit des 18. Jahrhunderts hervorbrachte.
„Als der Autor dieser erhaben pathetischen Sätze 1910 selber in jene ,Lage‘ geriet und von dem Hannoveraner Privatdozenten Theodor Lessing wegen eines beleidigenden Artikels telegraphisch gefragt wurde, ob er bereit sei, für seine Ansichten ,mit der Waffe einzutreten‘, zeigte er sich ihr nicht gewachsen. Sein duellerfahrener Schwiegervater, der Münchner Mathematikprofessor Pringsheim, gab ihm, um Rat gebeten, den erlösenden Hinweis, die Anfrage wegen gravierender Formfehler einfach abzulehnen, was Mann auch nur zu gern tat. Pringsheim selber hatte seinerzeit energischer gehandelt, als er, der Richard Wagner leidenschaftlich verehrte, in Bayreuth mit einem Wagnerkritiker in Streit geraten war und sich mit ihm duellierte“ (Frevert).
Männergeschichte um 1900: Der Bürger, verführt, den Helden zu markieren, ist immer nahe daran, eine Karikatur abzugeben. Denn das Radikale, Kompromißlose, Autonome, das dem Duell abgewonnen werden soll, ist so anachronistisch wie zweifelhaft; halb geerbt und halb geborgt. Geerbt aus dem feudalistischen Sittenfundus, geborgt aus der Geschichte des Individualismus. Die „Lage“, in die ein Mann täglich geraten konnte, war der Konflikt des Bürgers mit seiner unsicheren Position, und die schwankte zwischen narzistischem Größenwahn und kläglichem Selbstwert. Das ins Lot zu bringen, machte das Ritual des Ausgleichs und seine Energien der Selbstüberwindung im 19. Jahrhundert so begehrenswert — wie Ute Frevert nachweist, fast ausnahmslos für jeden Mann, zumindest in Gedanken, von Karl Marx bis Max Weber, die sich in ihren Gedanken zum Duell aufschlußreich verhedderten: „Individuen können“, schrieb Marx an Lassalle, „in solch unerträgliche Kollision miteinander geraten, daß ihnen das Duell als einzige Lösung erscheint“ — obwohl „das Duell an sich nicht rationell ist“ und „Reliquie einer vergangenen Kulturstufe“. Daß Bürger, um ihre „Individualität zu verteidigen“, auf „gewisse feudale Formen“ zurückgriffen, erschien Marx schon legitim. Vom Standpunkt der „revolutionären Partei“ aus habe das Duell allerdings kein Existenzrecht, weil es als „konventionelle Form“ daherkam.
Den besten — praktischen — Beitrag zur Geschichte des Duells lieferte aber Max Weber.
1910 erschien im Anschluß an die Heidelberger Tagung des Bundes deutscher Frauenvereine, an dem Marianne Weber teilgenommen hatte, der Zeitungsartikel eines jungen Dozenten. Er beschimpfte darin die Frauenbewegung als Verband von Witwen, Jüdinnen, unverheirateten, sterilen Frauen. Diese Schmähung ging, erboste sich Max Weber, an die Adresse seiner Frau. Er geriet in „weißglühenden Zorn“ (Zitate von Marianne Weber). Mit großen Überredungskünsten nur konnte sie den Mann abhalten, „sogleich zuzugreifen“, um die Beleidigung, die auf ihr saß, selbst zu erwidern. Sie forderte den Dozenten auf, seine Anwürfe zurückzunehmen, und erst, als der nicht darauf einging, erfolgte unter ihrem Namen „eine öffentliche Züchtigung, an deren schneidener Schärfe jeder den Mitverfasser erkannte“. Zusätzlich erklärte Max Weber sich bereit, „die Ehre seiner Frau“ im Duell zu „vertreten“.
Männergeschichte um 1900 als Frauenthema. Ute Frevert ist eine Berliner Geschichtswissenschaftlerin und ihr Buch über „Ehrenmänner“ ihre Habilitation. Es ist interessant zu verfolgen, wie sich Frevert einerseits historisch, über das 17. und 18. Jahrhundert, andererseits von außen nach innen, von den Formen zu den Affekten, an ihr Thema, „das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft“, heranschreibt — augenscheinlich und wie sie im Vorwort erzählt eine große innere Distanz überwindend. Das Duell war, auch wenn der Anlaß sich um Frauen drehte, reinste Männerangelegenheit und mehr als jede andere antiweiblich konzipiert. Die Souveränität, sie sich thematisch ganz anzueignen, hat Frevert erst in der zweiten Buchhälfte, dann aber wirkt die sich unmittelbar auf ihr rhetorisches Temperament aus. Ursula März
Ute Frevert: Ehrenmänner. Das Duell in der bürgerlichen Gesellschaft.
Beck-Verlag, München 1991
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen