: Das vergiftete Herz Europas
■ „Schwefel, Asche, Mondlandschaft“ — ARD-Dokumentation über die Kohlereviere in Nordböhmen
Von wegen Tschernobyl! Fahren wir doch einfach mal nach Nordböhmen in die Tschechoslowakei — nach Teplice. Das ist ja auch viel näher, nur 50 Kilometer nördlich von Dresden. Aneinandergereihte Katastrophen addieren das Entsetzen zwar längst nicht mehr, sie lassen sich aber immer noch gut zusammenzählen.
Erdbeben in Georgien, Überschwemmungen in Bangladesch, Cholera, Bürgerkrieg, Kieselrot und Marsberg vor der Haustür, vergiftete Seen und Flüsse in der UdSSR, Bitterfeld. HR-Regisseur Fritz Pfeiffer ist eben einfach nach Nordböhmen gefahren, direkt zwischen Braunkohleabbau und Chemieindustrie, in die „Schwarze Zone — Todesdreieck“. Und er zeigt so viele kranke Kinder und Säuglinge, gelähmt, katatonisch, verbogen und verwachsen, mit Hasenscharten und offenen Wunden an Rücken und Füßen, daß das deutsche Gemüt wieder einmal vor Empörung im Dreieck springen darf. Kinder auch, die an 100 Tagen im Jahr Hausarrest haben: Smog-Alarm, eine Million Tonnen Schwefeldioxid pro Jahr, genau eine Tonne für jeden Einwohner.
Daß er auch die Erwachsenen zeigt, fällt darüber kaum noch auf. Warum brüllen die nicht, warum toben die nicht? Warum gehen die ihrem Staat nicht an die Gurgel? Pfeiffer begegnet, das bringt offensichtlich alles Unheil auf dieser Welt so mit sich, resignierten, fatalistischen Menschen. Sie wissen nur zu gut Bescheid darüber, daß das einfache Überleben, daß ihre Arbeit sie krank macht. Sie husten — und machen weiter. Sie sind dort zwangsangesiedelt, wohin andere seit Jahrzehnten unbedingt wieder zurückwollen. Die haben dort, in einem der klassischen Armenhäuser Europas, wahrlich nichts verloren. Das bißchen Zorn, das bei den Menschen, die jetzt dort leben müssen, anklingt, ist nichts als wütender Traum: einmal die Bonzen aus der Hauptstadt in die stinkenden Abwässer tunken dürfen! Die Faust bleibt in der Tasche — wie in Marsberg, in Biblis und anderswo eben.
„Braunkohle — schmutziger kann Energie nicht sein“, sagt Pfeiffer. Die Menschen in Nordböhmen hoffen auf die Atomkraft — 50 Kilometer vor Dresden. Womit sie sonst einstweilen, zum Beispiel im nächsten Winter, heizen sollten, weiß der Autor derzeit sowenig wie die neuen Regierenden in Prag. Heide Platen
„Schwefel — Asche — Mondlandschaft“ (Fritz Pfeiffer, Kamera Albert Schneider), ARD, 21.20 Uhr
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen