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INTERVIEW„Man muß sich früh um seine Rechte kümmern“

■ Der Verwaltungsrechtler Reiner Geulen klagte erfolgreich gegen die „Abwicklung“ an der Humboldt-Universität

taz: Die ehemaligen Fachbereiche Rechtswissenschaft, Wirtschaftswissenschaft, Geschichte, Erziehungswissenschaft und das Institut für Philosophie der Berliner Humboldt-Universität sind im Dezember 1990 abgewickelt worden. Sie haben im Auftrag der Uni dagegen geklagt. Jetzt hat das Berliner Oberverwaltungsgericht entschieden, daß dieses Vorgehen dann rechtswidrig ist, wenn die Fachbereiche im Prinzip weiterbestehen sollen. Welche Konsequenzen hat das Urteil?

Reiner Geulen: Es war ein großer Sieg, denn das Urteil bedeutet, daß diese wichtigen Fachbereiche der Humboldt-Universität nicht abgewickelt sind und auch nicht weiter abgewickelt werden dürfen. Sie müssen in den Zustand zurückgeführt werden, den sie vor Dezember 1990 hatten. Das heißt, alle Beschäftigten dieser Fachbereiche, die sich in der Warteschleife befanden, sind wieder rückwirkend in ihre Ämter eingesetzt. Die Universität muß Studenten zulassen entsprechend der Zahl der Beschäftigten. Es muß also alles wieder rückgängig gemacht werden, was an Abwicklung durch die Senatsverwaltung bereits vollzogen ist.

Der Berliner Wissenschaftssenator Manfred Erhardt respektiert den Gerichtsentscheid, aber er will vor das Bundesverwaltungsgericht ziehen.

Der Beschluß ist rechtskräftig und ab sofort wirksam. Das kann auch der Senator nicht in Frage stellen. Es gibt rein theoretisch die Möglichkeit, ein Klageverfahren durchzuführen. Aber bis das Bundesverwaltungsgericht entscheidet, werden mindestens vier bis fünf Jahre vergehen. Ich halte eine solche Klage für aussichtslos. Das Hauptproblem dabei ist, daß spätestens seit der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts über diese Fragen am 24. April 1991 vollkommen klar ist, daß Abwicklung nur Auflösung heißen darf. Das Rechtsinstitut der Abwicklung steht im Einigungsvertrag und ist dann rechtswidrig, wenn es zum Zweck der Neugründung eingesetzt wird. Der Senator ist nicht klug beraten, das Bundesverfassungsgericht zu ignorieren. Ich habe das schon mehrfach gerügt.

Was bedeutet Ihr juristischer Erfolg hinsichtlich des Einigungsvertrages?

Der Einigungsvertrag sagt, daß die Ministerien oder zuständigen Stellen in der Bundesrepublik und Berlin die Institutionen in der früheren DDR entweder abwickeln können, daß heißt auflösen und zumachen, oder aber diese Institutionen bleiben bestehen und einzelnen Mitarbeitern, möglicherweise auch sehr vielen, wird gekündigt zum Beispiel wegen fehlenden Bedarfs oder wegen politischer Belastung. Es gibt nur diese beiden Möglichkeiten und keine dritte.

Nun geht es ja um fünf „ideologisch belastete“ Fachbereiche...

...diesen Begriff halte ich für problematisch, weil in der DDR vieles ideologisch belastet ist. Der Weg, den der Einigungsvertrag vorschreibt, ist eindeutig. Den wollte die Humboldt-Universität gehen, also diejenigen Mitarbeiter, insbesondere Hochschullehrer, die belastet sind oder für die aus objektiven Gründen kein Bedarf mehr besteht, entlassen. Der Senat hat das verhindert.

Können auch andere Universitäten klagen?

Da muß man von Fall zu Fall unterscheiden, aber es hätte frühzeitiger gemacht werden müssen. Ich weiß von einzelnen wissenschaftlichen Institutionen, die entweder keine Klage erhoben haben oder geklagt haben und hinterher wieder zurückgezogen haben. Da sehe ich grundsätzlich schwarz, daß die noch Rechtsschutzmöglichkeiten haben. Man muß sich — und das ist eine Sache, die die Menschen in der Ex-DDR lernen müssen — bei einem Rechtsstreit früh um die Vertretung seiner Rechte kümmern. Dann kann man auch Recht erhalten. Interview: Bärbel Petersen

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