: Hauptstadtfrage
Bei der Diskussion um Hauptstadt und Regierungssitz stellen sich immer klarer zwei gleich große Lager heraus: Für die einen ist Berlin das selbstverständliche Zentrum der deutschen Nation, für die anderen das häßliche Sinnbild preußischer Machtpolitik, das jetzt wiederum die bundesstaatliche Ordnung bedroht. Im Moment tut Berlin alles, um diese alten Vorurteile zu bestätigen. Eine Hauptstadt, die von allen anerkannt wird, kann Berlin jedoch nur sein, wenn es gleichzeitig die Bundesrepublik, wie sie in 46 Jahren gewachsen ist, akzeptiert. Dies wird am deutlichsten dokumentiert, wenn Bonn als Symbol der neuen Demokratie als Regierungssitz anerkannt wird. Für Berlin würden daraus auch materiell eher Vorteile entstehen, da die Kapazitäten an Wohn- und Verkehrsraum, die sonst durch weitere Beamte blockiert würden, nun kurzfristig der Ansiedlung neuer Wirtschaftsunternehmen dienen könnten. Dr.Ute Richarz-Barthauer, Bornheim
Das häufigste Argument für Berlin ist die historische Hauptstadt-Tradition dieser Stadt. [...]
Berlin wurde 1871 die Hauptstadt des Deutschen Reiches, und 1945 ging sie mit der Götterdämmerung Adolf Hitlers unter. Von da bis da zählen wir 74 Jahre. Bei diesem kärglichen Zeitrahmen von einem irreversiblen Geschichtsanspruch zu reden, halte ich allenfalls für Mangel an nationalem Selbstbewußtsein, weil Deutschland mit Berlin weder seinen Anfang noch sein Ende hat. [...]
In Bonn hingegen wird seit 42 Jahren eine demokratische Friedenspolitik gemacht, auf die wir über alle Parteien hinweg stolz sein können. Wenn wir diesen Weg auch in einem vereinigten Deutschland weitergehen wollen, muß dieses Land ein föderalistischer Staat mit weitgehend selbständigen Ländern bleiben. [...]
Alle Länder, die ein föderalistisches System bevorzugen, haben deshalb nicht ihre mächtigste Stadt zur Hauptstadt gemacht. Zentralistische Hauptstädte sind keine politischen Errungenschaften, sondern die Haupthindernisse für eine moderne kulturelle und wirtschaftliche Entwicklung der Staaten, die von einer solchen Über-Stadt aus regiert werden.
Wir Deutschen haben mit unserer „neuen Tradition“ begonnen, die europäische Zentralstaaten-Idee aufzubrechen und damit einem Vereinten Europa rascher den Weg zu bahnen. Bisher jedenfalls!
Bonn, eine deutsche Mittelstadt mit zweitausendjähriger geschichtlicher Vergangenheit im Zentrum Europas, ist ein bescheidener, glaubwürdiger Regierungs- und Parlamentssitz. Vor allem besitzt es für die Bundesrepublik Deutschland, deren Verfassungsväter zu unser aller Glück aus den Fehlern des Deutschen Reiches gelernt hatten, das Symbol des Neuanfanges und die politische Unschuld. Hans Schafgans, Bonn
[...] Wer glaubt, das Versprechen gegenüber Berlin wiege so schwer, daß es um jeden Preis eingelöst werden müsse, sollte bedenken, ob es Berlin wirklich nützt, wenn man damit eine nicht mehr umkehrbare und negative Wende einleitet. Berlin als absolute Zentrale Deutschlands bliebe nicht ohne bedenkliche Signalwirkung in ganz Europa. Natürlich gehören den Berlinern Sympathie und Anerkennung für ihre Haltung und vielen Leistungen in vergangenen Zeiten. Die Weltgeschichte ist fortgeschritten, und nun bestehen neue Prioritäten und Herausforderungen, andere Einsichten, damit neue Standpunkte, denen nur mit wachen Sinnen, kühlen Überlegungen und zukunftsorientierten, wenn auch zuweilen unpopulären Entscheidungen Rechnung getragen werden kann. Berlin als Regierungssitz zu wählen, wäre aus heutiger Sicht eine Fehlentscheidung. [...]
Berlin wählen bedeutet: Unruhe und Unsicherheit bei uns und unseren Nachbarn, kein selbstverständliches Miteinander mehr im Kern Europas, ins Abseits geraten, ständig mit größten Anstrengungen um Vertrauen ringen, beweisen, daß man noch dazugehört. [...] Dr.Gertrud Wendt, Bonn
[....] Ich bin der Meinung, daß der Bundespräsident seinen Amtssitz nach Berlin verlegen sollte. Regierung, Parlament und Beamtenapparat müssen in Bonn bleiben! So bleibt Berlin doch, was es immer war: die Hauptstadt ganz Deutschlands. Otto Hollenberg, Königswinter
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