piwik no script img

Ein Märtyrer zur rechten Zeit

Der ermordete Neonazi-Führer Sonntag wurde auf seiner Beerdigung in Dresden zum Helden erhoben/ 2.000 Rechtsradikale marschierten durch die Stadt/ Die Bevölkerung blieb stumm  ■ Aus Dresden Detlef Krell

Über Nacht bekamen die Werbefenster der „Multi Video Show“ auf der Kesselsdorfer Straße ein halbes Dutzend Plakate der „Freiheitlichen Arbeiterpartei Deutschlands“ verpaßt. Der Sex-Laden ist geschlossen. Nur ein paar Ecken weiter säumen Polizisten und Skins den Neuen Annenfriedhof. „Blumen für Rainer“ werden an der Friedhofsmauer angeboten. Doch die meisten der jungen Trauergäste bringen ihren eigenen Strauß oder Kranz mit: „Von Deinen Kameraden aus Reick“.

Die Dresdner Neonazis rücken in Gruppen an. Sie haben ihre Kluft festlich geputzt. Bomberjacken, Tarnhose und Springerstiefel, manche tragen ein SA-Hemd, manche einen schwarzen Anzug, viele Trauerflor am rechten Arm. „Weil ich Rainer persönlich gekannt habe“, nimmt ein Sechzehnjähriger an der Beisetzung teil. Was Sonntag für ein Mensch gewesen sei, darüber will er sich hier nicht äußern.

Das übernimmt in seiner Trauerrede einer der führenden Köpfe der „Freiheitlichen Arbeiterpartei“, Heinz Reisz. Sein Partner im „Kampf gegen die Bonner Republik“ sei Sonntag gewesen. Gemeinsam hatten sie im hessischen Langen die „Nationale Sammlung“ gegründet, die aber „vor dem Erfolg“ verboten worden war. Hätte es das Verbot nicht gegeben, dann säße Sonntag „heute im Stadtparlament“. Langen sollte damals die erste ausländerfreie Stadt Deutschlands werden, doch davon spricht Reisz heute nicht. Der „Heimatfanatiker“ Sonntag wollte immer zurück nach Dresden, wo er nun „von Meuchelmördern hingeschlachtet wurde, wie einst die Dresdner von den alliierten Bombern“. Sonntag sei wie ein Soldat als Held gestorben. Dem Sarg Sonntags folgen, hinter der Lebensgefährtin und den engsten Angehörigen, knapp dreihundert Gesinnungsfreunde. Kameraleute, Fotografen postieren sich ungehemmt auf Grabstellen und halten auf die Trauergäste. „Wir sind hier nicht auf einer Pressekonferenz“, faucht ein Mädchen im bayerischen Dialekt, „das ist unsere Feier.“ Keine Interviews. In der Presse werde sowieso alles entstellt. Ein Junge, 23 Jahre, erzählt nun doch, wer Rainer Sonntag für ihn gewesen sei. Er sei gegen Gewalt eingetreten. Das heiße, für Gewalt an der richtigen Stelle. Denn Gewalt erzeuge Gewalt. „Nicht nur unsere Gewalt greift um sich. Wir wollen, daß Deutschland wird wie früher. Auch mit den Grenzen. Dazu ist gezielte Gewalt nötig.“ Wenn die Polizei mit den Zuhältern nicht fertig wird, müßten eben seine Kameraden für Ordnung sorgen. „Gegen die Hütchenspieler haben wir die Bevölkerung schon hinter uns.“ Die Linken „gehen nicht arbeiten, sie saufen, nehmen Rauschgift und haben noch Marx-Bilder zu Hause hängen.“ Der Junge ist Maurer, er will endlich eine eigene Wohnung haben.

„Bekämpfen wir das Chaos, das vor der Tür steht“, fordert Reisz am Grabe Sonntags, und an die Polizisten gewandt: „Wir brauchen auch euch dazu. Ohne Polizei wird das Chaos den Weg gehen, den Bonn vorschreibt.“ Am Grab hebt eine Mutter den rechten Arm ihres achtjährigen Jungen zum Hitlergruß. Langsam leert sich der Friedhof, zurück bleibt eine Ehrenwache mit der Reichskriegsflagge. Draußen haben sich die ersten Grüppchen mit Büchsenbier versorgt, bis zum Trauermarsch ist es noch lang hin. 2.000, hieß es zuletzt, sollen nach Dresden kommen. Vor dem Hauptbahnhof hat sich bayerische Grenzpolizei aufgebaut. Neonazis aus dem Thüringer Raum sind eingetroffen und den Ordnungshütern gleich aufgefallen. Auf den Lederjacken prangen Wolfsrunen und andere „Kennzeichen verfassungswidriger Organisationen“. Abtrennen, befiehlt die Polizei. Nach der erkennungsdienstlichen Behandlung dürfen die bulligen Marschierer weiterziehen. Nicht so Gottfried Küssel, nach Kühnen und Sonntag nun wohl Nazi-Primus auch in Deutschland. Der Österreicher wird in Gewahrsam genommen, gegen ihn liegt ein Haftbefehl vor. Am Straßenrand rechteln zwei Männer mit Einkaufsbeuteln: „Soll doch jeder denken, was er will. Hauptsache keine Randale, Autos demolieren oder so.“ Von diesem „Empfang“ scheinbar unbeeindruckt bleibt ein Herr im lindgrünen Anzug, schmächtig, gepflegt, ohne jede „Etikettierung“. Dresdner Rechtsradikale begrüßen ihn mit einer gewissen Ehrfurcht. Er sei aus Wien, nur privat und zum ersten Mal in Dresden. Wie die Polizei hier handle, sei „normal in einem besetzten Land. Wir sind besetzt, im Denken und in der Wirtschaft sowieso.“ Die jungen Menschen würden um ihre Geschichte betrogen, aber er sei sicher, daß „die ganze Gaskammerndiskussion sich bald in ein Nichts auflösen“ werde, der Vorwurf an die Nationalsozialisten sei „wissenschaftlich schon lange nicht mehr tragbar“, spulte der Alt-Nazi ab.

Ein Pärchen, er in lupenreiner SA-Kluft, sie adrett im BdM-Kostüm, schlendert vorüber. Die Stellzeit für den Marsch rückt näher. Auf dem Sammelplatz haben sich Hunderte Neonazis aller Schattierungen eingefunden. Mit der Stadt ist vereinbart, daß die „Veranstalter“ selbst Ordnungskräfte stellen. Der Hamburger Christian Worch, sogenannter Gauleiter Nord, weist seine Abteilung ein. „Rainer Sonntag — Blutzeuge des Reiches“ steht auf dem Transparent, das dem Marsch, der sich unter dumpfen Trommelschlägen in Dreierreihen in Bewegung setzt, vorangetragen wird.

Daran soll die Welt genesen: militärische Disziplin, Dreierreihen, Ruhe im Glied. Vereinzelte „Sieg Heil“-Rufe werden von den Ordnern unterbunden. Nur vor dem Faunpalast, wo in der Nacht zum 1.Juni Sonntag von zwei Zuhältern aus dem nahen Bordell erschossen wurde, brechen die Emotionen heraus. „Deutschland den Deutschen — Ausländer raus“ skandieren die knapp 2.000 Neonazis. „Wir kriegen euch alle“ und immer wieder: „Rache!“ Eine kleine weißhaarige Frau schüttelt die Fäuste, ruft unter Tränen „Das kann nicht wahr sein“, doch die Neugierigen am Straßenrand schauen stumm auf das Szenario. „Nichts“ will ein Mittfünfziger vom Gartenzaun aus dazu sagen, seine Frau meint: „Wenn die Politiker nichts tun, was sollen wir dann noch?“ Einige Redskins werden von den Jungnazis verjagt: „Kommunisten raus!“ Nichts zu sehen von der Gegen-Demo, die den sprachlosen Politikern in Rathaus und Regierungssitz gerade noch rechtzeitig für das Medienspektakel eingefallen war. Keine Spur.

Auf den Elbwiesen der Dresdner Vorstadt endet, nach fast zwei Stunden, der Trauermarsch. Zur abschließenden Kundgebung scharen sich die Marschierer noch einmal um ihre Führer. Ein Dresdner Neonazi ruft seinen Gefolgsleuten zu, er sei von Trauer, aber auch von Stolz erfüllt. Stolz, ein Kamerad Sonntags gewesen zu sein, „der sein Leben hingegeben hat für Deutschland“, einen „Opfertod“ für das „deutsche Reich“ gestorben ist. Sonntag sei „aufgestanden“. Wie Sonntag „als Lebender gefochten hat, mit Worten und, wo es Not tat, auch mit Fäusten, wie er des Vaterlands Ehre mit seinem blutenden Leib gedeckt hat, so tun wir auch dies mit seiner Ehre, nun er tot ist“. Völkische Verse geben dieser „erwachten Jugend“ dann noch den Rest Kraft für den geordneten Rückzug. BGS und Polizei sitzen auf, ihr Job ist gelaufen. Ohne Zwischenfälle, heißt es im Polizeibericht; 41 Personen wurden „beigebracht“, eine Handvoll Schießprügel sichergestellt.

16 Hundertschaften Polizei, die militärische Ordnung in der rechtsradikalen Bewegung, aber auch die Toleranz und die Angst der Andersdenkenden haben Gewalt und Krawalle bei diesem Aufmarsch verhindert. Am Donnerstag will das sächsische Parlament über die „Gefahren durch Links- und Rechtsextremismus“ debattieren. Allein die Konstruktion dieses CDU-Antrages verrät die anachronistischen Denkschemata, mit denen hierzulande Politiker auf den „Ausstieg“ Tausender junger Menschen reagieren wollen. „Die nationalsozialistische Bewegung kommt heute in Dresden zusammen“, frohlockten am Sonnabend die neuen Integrationsfiguren. Der Märtyrer Rainer Sonntag kam zur ihnen rechten Zeit.

taz lesen kann jede:r

Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen