: Zehn Minuten Gedenken für 25 Millionen Tote
Neben dem Gezänk der Parteien um die Frage Bonn oder Berlin findet eine Erinnerung an den Überfall der deutschen Wehrmacht auf die Sowjetunion vor 50 Jahren kaum Platz bei den Parlamentariern im Bundestag ■ Aus Bonn Ferdos Forudastan
Sechzig Minuten, dreißig Minuten, zwanzig Minuten, fünfzehn Minuten...
Auf zehn bis fünfzehn Minuten ist im Laufe der Woche die Zeit für eine Rede geschrumpft, die die Parlamentspräsidentin Rita Süssmuth am Freitag morgen zum Gedenken an den Überfall Deutschlands auf die Sowjetunion vor fünfzig Jahren halten soll — zum Gedenken an einen Überfall, der etwa 25 Millionen Sowjets das Leben gekostet hat.
Die am Samstag beginnende Sommerpause des Bundestages und der Streit um Bonn oder Berlin haben das offizielle Erinnern an den 22.Juni 1941 zu einer parlamentarischen Petitesse gemacht. Und das scheint in Bonn nur wenige besonders zu stören.
Eine Sondersitzung des Bundestages, eine Entschließung des Bundestages, eine Rede des Bundespräsidenten... In der CDU/CSU-Fraktion etwa sind gängige Möglichkeiten, eines solchen Ereignisses zu gedenken, gar nicht erst erwogen worden: „Das haben wir nicht einmal diskutiert“, berichtete ein Sprecher. Denn: „Das ist hinter dem Streit um Bonn/Berlin völlig untergegangen.“ Karl Lamers, außenpolitischer Sprecher der Unionsfraktion, findet das zwar „bedauerlich“ und meint: „Angemessen sind diese paar Minuten nicht. Angemessen wäre eine Debatte über das Ereignis vor fünfzig Jahren und die daraus zu ziehenden Lehren gewesen.“ Trotzdem findet er fünf Minuten sind „besser als gar nichts“. Und: „Was die Sache erträglicher macht, ist, daß niemand sich heute so um die Russen kümmert wie wir.“
Olaf Feldmann, FDP-Abgeordneter, hat keine Probleme mit dem geplanten Kurz-Gedenken: „Mehr Redezeit für Frau Süssmuth wäre auch richtig gewesen. Aber nicht richtiger.“
Elisabeth Weber, zuständige Mitarbeiterin der Gruppe Bündnis 90/Die Grünen, findet es „ausgesprochen gut, daß fast alle Fraktionen sich auf eine kurze Rede der Parlamentspräsidentin anläßlich des Jahrestages geeinigt haben“. „Das ist doch viel feierlicher, viel stilvoller, viel angemessener, wenn Frau Süssmuth spricht, als wenn alle Fraktionen was dazu sagen.“
In der SPD hingegen scheint die Aussicht auf eine kurze Rede der Parlamentspäsidentin verschiedenen Abgeordneten gar nicht zu behagen. Zwar war es Fraktionschef Vogel, der Rita Süssmuth aufgefordert hatte „des Ereignisses in angemessener Weise zu gedenken“.
Der sozialdemokratische Abgeordnete Freimut Duve findet es dennoch „ziemlich dürftig, wie der Bundestag am Freitag damit umgehen wird“.
Gerade die Sozialdemokraten hätten eine Entschließung einbringen oder eine Rede des Bundespräsidenten anregen sollen. Aber: „Auch wir haben zugelassen, daß dieses Datum im Schlund der deutschen Einigung verschwindet.“
„Ein bißchen knapp“, meinen vorsichtig Peter Glotz, Abgeordneter und Vorstandsmitglied der Sozialdemokraten, und sein Fraktionskollege Horst Peter.
Ihr Unbehagen ausgedrückt hat allein die PDS. Sie ist auch als einzige Partei tätig geworden.
Sie hat eine Sondersitzung des Bundestages zum Gedenken an diesen Tag beantragt. Da einer solchen Sondersitzung ein Drittel der Bundestagsabgeordneten zustimmen müßte, hat sie alle Parlamentarier schriftlich um Unterstützung gebeten — und bisher keine einzige Antwort erhalten.
40.000 mal Danke!
40.000 Menschen beteiligen sich bei taz zahl ich – weil unabhängiger, kritischer Journalismus in diesen Zeiten gebraucht wird. Weil es die taz braucht. Dafür möchten wir uns herzlich bedanken! Ihre Solidarität sorgt dafür, dass taz.de für alle frei zugänglich bleibt. Denn wir verstehen Journalismus nicht nur als Ware, sondern als öffentliches Gut. Was uns besonders macht? Sie, unsere Leser*innen. Sie wissen: Zahlen muss niemand, aber guter Journalismus hat seinen Preis. Und immer mehr machen mit und entscheiden sich für eine freiwillige Unterstützung der taz! Dieser Schub trägt uns gemeinsam in die Zukunft. Wir suchen auch weiterhin Unterstützung: suchen wir auch weiterhin Ihre Unterstützung. Setzen auch Sie jetzt ein Zeichen für kritischen Journalismus – schon mit 5 Euro im Monat! Jetzt unterstützen