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„Es geht um Menschen und Deutsche“

■ Nils Rudolph verschafft mit der Einstellung des Weltrekords über 50 Meter Schmetterling den ins Schwimmen geratenen Funktionären eine Atempause bei den Diskussionen um den Doping-Bericht

Hamburg (dpa/taz) — Sieben Monate später, gleiches Ereignis, gleiche Zeit. Wie bei ersten gesamtdeutschen Meisterschaften in München schwamm der Ex-Rostocker Nils Rudolph 24,39 Sekunden über 50 Meter Schmetterling, und stellte seinen eigenen Weltrekord ein. Damit verschaffte ausgerechnet jener Mann, der wegen Zwistigkeiten mit Funktionären von den Weltmeisterschaften in Perth vorzeitig abgeflogen wurde, den Verbandsoberen eine Atempause bei den Diskussionen um den Doping-Bericht der unabhängigen Reiter-Kommission.

Schließlich steht es Funktionären eines Schwimmverbandes nicht unbedingt gut zu Gesicht, wenn sie fortwährend ins Schwimmen geraten. Bei der Bewältigung des Dopings erschöpfte sich der Deutsche Schwimm-Verband (DSV) seit Monaten in stümperhafter Stammelei. Unentschlossenheit und Unfähigkeit hätten wohl auch die Deutschen Meisterschaften überschattet, wäre dem DSV nicht die Formulierung eines eigenen Standpunkts abgenommen worden durch den Bericht der Anti- Doping-Kommission.

Das Thema Doping war durch die Meldung des Berliner Schwimmers Raik Hannemann zu diesen Meisterschaften wieder ganz oben auf die Tagesordnung geraten. Hannemann hatte als bislang einziger ostdeutscher Schwimmer im Dezember zugegeben, jahrelang gedopt worden zu sein. Sein Exklusiv-Geständnis hatte Hannemann eine Volontärsstelle beim Berliner Boulevardblatt 'Kurier am Abend‘ eingebracht.

Der Mann hat Nerven, sich bei den Meisterschaften überhaupt blicken und gar für einen Wettbewerb aufstellen zu lassen, mag man in der DSV-Spitze gedacht haben. „Das ist eine blöde Situation“, hatte DSV-Vizepräsident Hermann Hansen vor den Titelkämpfen noch verlauten lassen. Von den anfänglichen Erwägungen, Hannemann zu sperren, war allerdings zum Auftakt der Titelkämpfe keine Rede mehr.

Denn am Mittwoch hatte die Anti- Doping-Kommission eine Generalamnestie für gedopte Sportler verkündet, die sich nicht nur der DSV spontan, hocherfreut und vermutlich sehr erleichtert zu eigen machte. So sprach Schwimmwart Hans Hartogh am ersten Wettkampftag: „Natürlich hätten wir Hannemann nicht gesperrt, denn er darf keine Prügel dafür beziehen, daß er ehrlich war, während andere darüber schweigen.“ Und einmal in Stimmung, plauderte der Funktionär munter weiter: „Wir wollen keine Verfolgung unserer Aktiven. Hier geht es um Menschen und um Deutsche.“ Boulevard-Journalist Hannemann — als solcher auch in Hamburg akkreditiert — verzichtete dann mit dem Hinweis auf einen verletzten Oberschenkel von sich aus auf einen Start.

Während sich das Problem der chemisch aufgepäppelten SchwimmerInnen durch wundersame Fügung über Nacht erledigt hat, wird der DSV nun noch einige Fälle dopingverdächtiger Trainer, Ärzte und Funktionäre aussitzen müssen, die nicht amnestiert werden sollen. Schon Ende April, kurz vor dem DSV-Verbandstag in Münster, erhielt DSV-Chef Bodo Hollemann einen Brief, unterzeichnet von keinem Geringeren als dem DSB-Präsidenten Hans Hansen und dem Chef der Anti-Doping-Kommission, der Berliner Manfred von Richthofen. Die Herrschaften schrieben darin, im DDR-Schwimmsport sei mit dem Wissen der Trainer und Funktionäre flächendeckend gedopt worden. Hollemann und der DSV-Verbandstag wurden aufgefordert, bei begründetem Verdacht ostdeutsche Trainer und Funktionäre nicht zu übernehmen.

Überaus entrüstet nannte der Kripo-Beamte aus Hannover das Schreiben eine „Pauschalverurteilung ohne Nennung von Roß und Reiter“. Die Delegierten des Verbandstages klatschten, wählten Hollemann wieder und den Jenaer Professor Gerhard Hoecke zum Vizepräsidenten. Ob Hoecke etwas zum Thema Doping anzumerken habe, wurde er erst gar nicht gefragt. Olaf Krohn

Frauen: 100 m Schmetterling: 1. Katrin Meißner (Berlin) 1:02,42 Minuten, 50 m Rücken: 1. Sandra Völker 29,40 Sekunden, 4 x 100 m Lagen: 1. SC Berlin (Anke Lenze, Sylvia Gerasch, Katrin Meißner, Manuela Stellmach) 4:17,60 Minuten, 200 m Lagen: 1. Daniela Hunger (Berlin) 2:16,64 Minuten, 400 m Freistil: 1. Grit Müller (Potsdam) 4:13,65 Minuten.

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