: Aus Bausoldaten werden Zivis
■ Zwei Anlaufstellen beraten künftige Kriegsdienstverweigerer in beiden Teilen der Stadt
Berlin. »Ich glaube, die meisten haben sich noch keine Gedanken darüber gemacht«, sagt Tobias, ein 17jähriger Gymnasiast aus dem Bezirk Mitte, »viele aus meiner Klasse lassen es auf sich zukommen.« Nicht aber Tobias, der im Sommer Abitur machen wird: Obwohl er erst im November volljährig wird, sucht er jetzt bereits die Beratungsstunde für Kriegsdienstverweigerer auf, die das katholische Jugendseelsorgeamt im Lichtenberg-Haus im Ostteil der Stadt eingerichtet hat.
Sein Gegenüber nickt verständnisvoll. »Für den Großteil ist das Thema einfach noch zu neu«, sagt Christoph Kießig. Im vergangenen Mai hat der 25jährige Referent für Kriegsdienstverweigerung des Bistums Berlin die Sprechstunde im Bezirk Mitte ins Leben gerufen, im Westen existiert sie bereits seit April.
Damit hat Christoph jedoch nur in begrenzter Hinsicht Neuland betreten. Vor der »Wende« beriet er Jugendliche, die sich als »Bausoldat« verpflichten wollten. »Das war halt die einzige Form der Opposition gegen die Armee.« Er zuckt mit den Schultern, dies sei eben der »katholische Normalfall« gewesen. Aber selbst dieser hatte es in sich: Bausoldaten flogen bisweilen aus der Lehre, erhielten keine Studienplätze. Christoph weiß, wovon er spricht: Er selbst war Bausoldat und kennt die Schikanen.
Tobias braucht solche Benachteiligungen jedoch nicht mehr zu befürchten. »Konflikte nicht mit Gewalt lösen müssen« nennt er als Motiv seiner Kriegsdienstverweigerung. Im Vergleich zu den Verweigerern aus dem Westen, die »am liebsten gar nichts machen wollen« und für die der Zivildienst »nur das geringere Übel« sei, hätten — so Christophs Beobachtungen — »sich Ostler mit dem Thema allein schon wegen des Schreckensbildes NVA« viel mehr mit dem Thema beschäftigt.
New Kids ohne Bock lautete in einem Stadtmagazin der Titel eines Textes über Westjugendliche. Einer Umfrage zufolge wollen mehr als die Hälfte den Dienst verweigern, der Golfkrieg löste einen zusätzlichen Boom von Verweigerungsanträgen aus. »Für den Osten liegen noch keine Zahlen vor«, so Christoph.
Während Christoph bei einer Tasse Kaffee locker plaudert, kümmert sich Martin Ostermann um Tobias, berät ihn bei Formfragen. Der 22jährige ist der »Wessi« im Team. Martin kommt aus Essen und macht in Berlin eine Ausbildung als Versicherungsbeamter. Er wird im Herbst selbst seinen Zivildienst antreten. Was ihm hier auffällt: »Es gibt für Berliner Jugendliche keine Erfahrungswerte, keine älteren Freunde oder Brüder, die schon verweigert haben.« Trotzdem hält sich der Zulauf in Grenzen. Vor zwei Wochen kamen drei, heute nur Tobias. »Es muß sich erst herumsprechen«, sagt Christoph.
Als Tobias zufrieden abgezogen ist und sich die zwei Beratungsstunden ihrem Ende nähern, erzählt Christoph von den Zeiten kurz nach der Wende, als ein formloser Antrag für die Verweigerung ausreichte. Damals schossen auch »überall in Ost- Berlin Zivildienstsstellen wie Pilze aus dem Boden«. Er schmunzelt: »Da gab es kein langwieriges Verfahren für diese Stellen. Da schuf man einfach neue Plätze für die Krankenschwestern, die rübergemacht hatten.« Das Ergebnis: Allein das Hedwigs-Krankenhaus in Mitte beschäftigt inzwischen 40 Zivildienstleistende.
Noch immer stecke in manchen Köpfen das alte Denken, berichtet Christoph, mitunter sogar mit einer unfreiwillig komischen Note. »Letztens fragte ein Jugendlicher aus dem Osten besorgt: ‘Was steht denn auf Zivildienst ableisten?‚« Markus Brauckmann
Beratung für Kriegsdienstverweigerung: mittwochs 18-20 Uhr, erich-Klausener-Haus, Witzlebenstraße 30, 1-19. Donnertags: 17-19 Uhr, Lichtenberg-Haus, Hinter der katholischen Kirche 3, 1086 Berlin.
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