: Drei Stunden Wartezeit
■ »Verführbarkeit auf beiden Seiten« von Marivaux im Ensemble Theater
Foto: Ole Wessels
Silvia liebt Arlequin. Und Arlequin Silvia. Damit wäre eigentlich alles in Ordnung. Jedoch nicht, wenn der Text von Marivaux stammt. Denn der Prinz läßt das Landmädel Silvia rauben. Er ist begeistert von ihrer Naivität und der Natürlichkeit, die er bei seinen eitlen Hofdamen vermißt. Jetzt muß er es nur noch schaffen, Silvia in sich verliebt zu machen. Zu diesem Zweck läßt er auch Arlequin an seinen Hof holen. Das ländliche Paar wird in einen Haufen von Spielchen und Intrigen verstrickt, die allesamt von Flaminia, einer Freundin des Prinzen, geplant und ausgeführt werden. Ihr Vorhaben gelingt: am Ende liebt Silvia den Prinzen, und Flaminia schnappt sich Arlequin.
»Die Verführbarkeit auf beiden Seiten« ist ein doppelbödiges Stück: oberflächlich betrachtet eine simple Bäumchen-wechsel- dich-Komödie, innen jedoch birgt sie eine scharfe Analyse beider Geselschaftsschichten, die hier aufeinanderprallen. Am Hof ist man eitel und kokett, versteckt sich hinter aufgemalten oder gespielten Masken. Wie leicht fallen Arlequin und Silvia auf ihre trainierten Raffinessen und Lügen herein. Beide werden sich nicht bewußt, daß sie genau das tun und sogar fühlen, was von ihnen verlangt wird. Zu gern lassen sie sich allerdings auch bestechen, mit Komplimenten, gutem Essen, Kleidern und ähnlichen bewußt eingesetzten Nichtigkeiten. Am Schluß ist ihre alte Liebe zerstört. Was aus der neuen wird, ist nicht abzusehen.
Es ist eines der interessantesten Stücke von Marivaux und kann ein großartiges Theatervergnügen sein. Muß aber nicht! Das Janus-Theater unter der Regie von Rainer M. Beck schafft es jedenfalls nicht, einen einigermaßen spannenden Abend zu gestalten.
Lang ist ihre Aufführung und will und will nicht enden. Ermattet schleppt man sich nach fast drei Stunden aus dem Raum, denn der zündende Funke wollte nicht überspringen. Den Schauspielern ist dabei kein Vorwurf zu machen, da ist genügend Potential für einen kurzweiligen Abend vorhanden. Aber sie haben es schwer, gegen die ungefällige Inszenierung anzukämpfen. Das Tempo fehlt: zäh folgt Satz auf Satz auf unnötige Pausen. Marivaux' Stück ist keine schlichte Komödie, eine gewisse Leichtigkeit jedoch kann nie schaden.
Als fehle der Regisseur, das äußere Auge, ganz, wird das Stück abgespult, läßt eigene Ideen, kleine, witzige Einfälle, an die man sich gern erinnert, völlig vermissen. Und dabei bieten Thorsten Heidel und Ute Rosenbauer als Arlequin und Silvia einen netten Kontrast zur Hofgesellschaft, dem etwas schüchternen Prinzen (Gunther Trzaska) zum Beispiel oder seiner wundervoll verspielten Partnerin Flaminia (Christiane Nalezinski). Aber Rainer Beck holt weder aus seinen Schauspielern noch aus dem Stück mehr heraus als gerademal notwendig. Soetwas wie Dramaturgie fehlt komplett: wenn man schon keine eigenen Ideen hat und das Stück in diesem Schneckentempo vorführen muß, hätte man wenigstens einige Seiten herauskürzen können. Schade um Marivaux wär's schon, aber immer noch erträglicher als drei Stunden Wartezeit. Anja Poschen
Fr-Mo, 20.30, Ensemble-Theater
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen