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Wackliger Waffenstillstand

■ Nach der Erklärung des Waffenstillstands vom Mittwoch durch die jugoslawische Armee verhandeln die Konfliktparteien. Zu Kampfhandlungen kam es am Donnerstag trotz der Drohungen der Armeeführung, im Falle...

Wackliger Waffenstillstand Nach der Erklärung des Waffenstillstands vom Mittwoch durch die jugoslawische Armee verhandeln die Konfliktparteien. Zu Kampfhandlungen kam es am Donnerstag trotz der Drohungen der Armeeführung, im Falle weiterer „Mißhandlungen“ der Soldaten durch slowenische Milizionäre zu „massiven Angriffen“ überzugehen, nicht. Das Staatspräsidium in Belgrad diskutierte indes über die Aussetzung der Unabhängigkeitserklärungen.

Die Ereignisse in Jugoslawien sind nichts für schwache Nerven: Noch am Mittwoch abend reagierten die Menschen auf den Straßen der slowenischen Hauptstadt scheu und eingeschüchtert, besorgte Blicke richteten sich gen Himmel, ungewöhnliche Geräusche ließen so manch einen zusammenzucken. Die Fernsehnachrichten dagegen in ernstem, gefaßtem Ton: Die Aufnahmen vom Panzeraufmarsch Richtung Norden flimmerten kommentarlos über den Bildschirm. Ein möglicher Angriff gegen Ljubljana wurde für den nächsten Morgen erwartet — ironischerweise ein Feiertag, auch für Militärs und Polizei: der „Tag der Kämpfer“, an dem Jugoslawien dem Widerstand gegen die Nazi-Besatzer gedenkt.

Doch schon in den Morgennachrichten vom Donnerstag war Entspannung angesagt. Bis um 3 Uhr morgens war in Zagreb mit der Armee verhandelt und ein Waffenstillstand ausgehandelt worden. Wichtigstes Ergebnis: Die Truppen der jugoslawischen Volksarmee ziehen sich in ihre Kasernen zurück, im Gegenzug bauen die slowenischen Territorialkräfte die Straßenbarrikaden ab. Die „Kriegsgefangenen“ werden freigelassen. Technische Details, von der Überführung der Panzer durch Tieflader — die Straßen sind durch die Kettenfahrzeuge schon ganz schön ramponiert — über die Wiederaufnahme des Bahnverkehrs bis hin zur Wiedereröffnung des Flughafens hatten die Gespräche abgerundet.

Während der Gespräche, bei denen auf seiten der Armee der Stellvertretende Kommandeur der 5. Armee, Andrija Raseta, sowie Innenminister Petar Gracanin, von slowenischer Seite unter anderem der grüne Politiker und Mitglied des slowenischen Präsidiums, Dusan Plut, teilnahmen, war es aber nicht gelungen, eine Übereinkunft über die Kontrolle der Grenzen zu erzielen. Von slowenischer Seite ist nicht die Armee in dieser Frage zuständig, sondern die Bundesregierung. Die Armee ihrerseits hält sich in dieser ungeklärten Frage die Tür zu weiteren Aktionen offen. Wichtig ist auch, daß die im Gefühl des „Sieges“ noch am Wochenende von slowenischer Seite aufgestellte Forderung, die Armee habe ihre Waffen in ihren Stellungen zurückzulassen, fallengelassen wurde. Der Arroganz dieser Forderung ist es nicht zuletzt geschuldet, daß sich die Generalität auf den Schlips getreten fühlte.

Erneut ist nur ein Waffenstillstand zustande gekommen, ein schriftliches Dokument, ein Friedensvertrag wurde nicht unterzeichnet. So wurde durch die Gespräche deutlich, daß die jugoslawische Bundesregierung immer noch nicht Tritt gefaßt und weiterhin kaum Einfluß auf den Lauf der Dinge hat. „Die Armee braucht Zeit, die Truppen werden jetzt durch Reservisten aufgefüllt, echte Kämpfer, die die jungen Wehrpflichtigen ersetzen. Und diese Reservisten kommen aus den serbischen Kerngebieten, aus den serbischen Gebieten in Kroatien und Bosnien“, kratzte gestern der slowenische Sozialwissenschaftler und Kenner des jugoslawischen Militärs, Anton Bebler, die um sich greifende Euphorie an. Doch schon am Donnerstag vormittag wurden Teile der Vereinbarungen erfüllt. Die Straßen wurden wieder freigemacht, die Truppen bewegten sich auf ihre Kasernen zu, zu neuen Schießereien kam es bis zum späten Nachmittag nicht. „Es gerät alles in Bewegung“, erklärte Dusan Plut auf einer Pressekonferenz. Doch werde es weiterhin des Drucks aus dem Ausland bedürfen, um die Unabhängigkeit Sloweniens abzusichern.

„Reale Möglichkeit von Militäroperationen“

Auf welch wackligen Beinen der Waffenstillstand jedoch ruht, zeigte auch die gestern mehrmals wiederholte Drohung der jugoslawischen Armeeführung. In einer Verlautbarung des für Slowenien zuständigen 5. Militärbezirks hieß es, daß Soldaten weiterhin von der slowenischen Miliz „mißhandelt“ würden. Dies bedeute die „reale Möglichkeit von Militäroperationen großen Ausmaßes“.

In Belgrad tagte unterdessen das Staatspräsidium. Unter der Leitung von Staatschef Stipe Mesic nahmen an ihr bis auf den Vertreter Sloweniens alle anderen sieben Mitglieder sowie Regierungschef Ante Markovic und Verteidigungsminister Veljko Kadijevic teil. Über die Position des von Insidern als „Taube“ eingeschätzten Ministers hatte es im Vorfeld zahlreiche Spekulationen gegeben. Seit dem Ausbruch der Kämpfe hatte er sich nicht mehr öffentlich geäußert, eine angekündigte Fernsehrede war ohne Begründung abgesagt worden.

Von der Sitzung des Staatspräsidiums wird eine Entscheidung über die von der KSZE geforderte Entsendung von Beobachtern in das Krisengebiet erwartet. Daneben wird es jedoch auch darum gehen, ab wann Slowenien und Kroatien gemäß dem Drei-Punkte-Kompromiß der Europäischen Gemeinschaft ihre Unabhängigkeit für drei Monate aussetzen werden. Gerade von diesem Punkt wird es abhängen, ob der Waffenstillstand zwischen der Volksarmee und der slowenischen Bürgerwehr eingehalten wird.

Wie das slowenische Rote Kreuz am Donnerstag meldete, sind bei den seit einer Woche anhaltenden Kämpfen bisher 49 Menschen, darunter vier Ausländer, ums Leben gekommen. Der Bilanz zufolge wurden 280 Menschen verletzt. Bei den Todesopfern handele es sich neben den vier Ausländern um 35 jugoslawische Bundessoldaten, drei Mitglieder der slowenischen Territorialverteidigung, zwei Polizisten und fünf Zivilisten. Über die Nationalität der Ausländer waren zunächst keine Angaben erhältlich. Verletzt worden seien 152 Soldaten, 66 slowenische Milizionäre, 22 Polizisten, 38 Zivilisten und 2 Ausländer. Nach Angaben des Roten Kreuzes wurden außerdem 2.013 Bundessoldaten, 129 Bundespolizisten und 2 Zivilisten von den slowenischen Einheiten gefangengenommen.

Immerhin, es gibt durchaus versöhnliche Gesten: Als am Donnerstag gegen Mittag in acht Bussen diejenigen serbischen Mütter Ljubljana erreichten, die am Dienstag das Parlament in Belgrad gestürmt hatten, um ihre Söhne, Rekruten der Volksarmee, nach Hause zu holen, wurden sie gastfreundlich empfangen: Spolenka Hribor, die Vorsitzende des Slowenischen Weltkongresses und Organisatorin von slowenischen Eltern, deren Kinder in der Armee dienen, hatte über das Fernsehen zur Aufnahme der Mütter in slowenischen Familien aufgerufen. „Und es war ein überwältigender Erfolg, die Telefone liefen heiß.“ Am Abend zuvor war das noch nicht selbstverständlich gewesen: Die serbischen Eltern, die, durch die Propaganda der serbischen Medien beeinflußt, große Angst vor slowenischen Pogromen zeigten, hatten sich immerhin in „Feindesland“ vorgewagt. „Was wir erreichen möchten“, so Spolenka Hribor gegenüber der taz, „ist, daß die Diskussionen zwischen den Völkern wieder eine rationale Ebene erreichen — einen Weg nach Jugoslawien zurück gibt es aber nicht.“ Erich Rathfelder, Ljubljana

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