: Schwestern wollen nicht im Osten bleiben
■ Zulage für Pflegekräfte im Intensiv- und Operationsbereich vom Tisch/ Laut Gesundheitssenator und der Ärztekammer herrscht bislang kein Pflegenotstand/ Im Herbst dramatische Zuspitzung erwartet
Berlin. Aus der Zulage für Ostberliner Pflegekräfte im Operations- und Intensivpflegebereich in Höhe von bis zu 300 Mark wird nun doch erstmal nüscht. Man wolle nicht unbedingt aus der Tarifgemeinschaft der Länder ausbrechen, so versuchte sich gestern Gesundheitssenator Peter Luther (CDU) vor der Presse um eine klarere Aussage herumzudrücken. »Wir werden nach anderen Möglichkeiten suchen, um die Pflegekräfte zu halten«, erklärte er vieldeutig. Im übrigen könne nicht ohne das umliegende Land Brandenburg gehandelt werden.
Für den Alltag der Pflegekräfte heißt dies: Es bleibt beim seit dem 1. Juli geltenden BAT-Ost, der den Pflegekräften nur 60 Prozent des ohnehin nicht allzu üppigen Westlohns zusichert und alle Schwestern in die gleiche Gehaltsstufe eingruppiert, egal, wie lange sie in ihrem Beruf schon tätig sind. Eine Berlinzulage gibt es in Ost-Berlin nicht und auch die Schichtzulagen werden nur zu 60 Prozent gewährt. Unterm Strich bedeutet dies, daß Ost-Schwestern bis zu 1.000 Mark weniger als ihre Westkolleginnen bekommen. Kein Wunder, daß die Pflegekräfte aus dem Osten lieber im Westen tätig sind, schließlich wird dort besser entlohnt — und jede Schwester gebraucht.
Gesundheitssenator Luther teilte nun gestern der Presse mit, wie er aus diesem Dilemma herauszukommen gedenkt. Zwei Stunden später erklärte der Präsident der Berliner Ärztekammer, Ellis Huber, gemeinsam mit Bernd Köppl, gesundheitspolitischer Sprecher der Fraktion Bündnis 90, was aus ihrer Sicht jetzt erforderlich sei. In einem waren sich alle Herren einig: Noch könne man nicht von Pflegenotstand sprechen. Zwar fehlte allerortens Pflegepersonal, die Ostberliner Kliniken seien jedoch derzeit auch nur zu 74 Prozent ausgelastet, so der Senator. Bereits im Herbst jedoch werde sich die Lage unter den jetzigen Voraussetzungen dramatisch zuspitzen. Luthers Schnellmixtur: eine Kommission unter Federführung der Gesundheitsverwaltung, die sich »mit der Auslotung aller Möglichkeiten« zur Verbesserung der Entlohnung der rund 7.000 Angestellten im Pflegebereich befassen soll sowie eine Mahnung an alle Westberliner Krankenhäuser, keine Ostberliner Pflegekräfte abzuwerben. Darüber hinaus könnten die 60 Pflegekräfte des Krankenhauses Mitte, das Ende August geschlossen wird, gleichwertige Arbeitsplätze in anderen Ostberliner Häusern bekommen. Gleiches gelte für dreißig auf den Personalüberhang geratene Pflegekräfte des Universitätsklinikums Rudolf Virchow: Sie könnten zu Westkonditionen eine Tätigkeit im Ostteil der Stadt aufnehmen.
Ein Vorhaben, auf das Roswitha Saborowski, Pflegedienstleiterin im Krankenhaus Prenzlauer Berg, nur mit Empörung reagieren kann: »Wenn hier West-Schwestern arbeiten, die das Doppelte verdienen, wird die Unruhe bei uns noch größer.« Auch mit dem Appell an die Westberliner Krankenhäuser, kein Personal aus Ost-Berlin mehr einzustellen, kann sie sich nicht anfreunden. Jahrelang habe man in der alten DDR die Schwestern gezwungen, an ihren Arbeitsstellen zu bleiben. Aber schon damals hätte es nichts an der desolaten Situation in der Pflege verbessert.
Bernd Köppl warf dem Senat vor, sich hinter der Tarifgemeinschaft zu verstecken. Eine übertarifliche Zulage, wie sie wegen der hohen Mieten in Frankfurt/Main und München gezahlt werde, könnte einseitig vom Berliner Senat durchaus bewilligt werden. Dies wäre ein entscheidender Schritt hin zu einer vollen Angleichung der Bezahlung im Pflegebereich, die bis Ende des Jahres erfolgen müsse.
Kammerpräsident Huber plädierte für Kooperationsverträge zwischen Ost- und Westberliner Krankenhäusern, in denen ein Ressourcenausgleich sowie ein Ost-West- Transfer von Personal geregelt würden. Er denke ferner an gemeinsame Dienstpläne und gemeinsames Personalmanagement. Einseitige westliche »Hilfsabordnungen«, wie von Luther vorgeschlagen, hält auch er für wenig hilfreich. maz
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